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Meinung: … Italien

Dumm gelaufen. Hastig aus dem Bus ausgestiegen, gestürzt, im Knie ein Schmerz wie ein Stich mit dem Dolch.

Dumm gelaufen. Hastig aus dem Bus ausgestiegen, gestürzt, im Knie ein Schmerz wie ein Stich mit dem Dolch. Der Hausarzt ordnet eine Magnetresonanz an, doch auf die wartet man in Rom vier Wochen, auf Bilder und Befund weitere fünf Tage. So lange gibt es keine Diagnose, keine Therapie. Nur den Schmerz. Und man hat noch Glück: Kompliziertere Krebstests, Computertomografien, dringende Herzuntersuchungen, die übers normale EKG hinausgehen, erhalten Italiener erst nach drei bis sieben Monaten – jedenfalls im staatlichen Gesundheitssystem. Privat bekommt man alles innerhalb von zwei, drei Tagen, wenn man die entsprechenden großen Scheine im Geldbeutel hat. In Italien ist längst eine Zwei-Klassen-Medizin entstanden. Wer immer es sich leisten kann, geht in eine der luxuriösen Privatkliniken. Wer nicht, der landet in den Krankensälen der staatlichen Spitäler und wird von seinen Angehörigen betreut, teils auch verpflegt, nicht nur, weil der Familiensinn es gebietet, sondern weil es an allem mangelt – und weil die hygienischen Zustände zu tausend Befürchtungen Anlass geben. In einer drastischen Reportage hat dies am Freitag der landesweit bekannte Journalist Fabrizio Gatti im Magazin „l’espresso“ beschrieben. Er schildert das größte Krankenhaus Italiens, die römische Uniklinik Umberto I.: abblätternder Putz, Säcke mit Müll auf den Fluren – durchaus infektiös oder radioaktiv in diesem Falle –, Hundekacke auf dem Boden, Putzlappen, die für einen ganzen Klinikblock reichen müssen, „dicke, dreckige Flüssigkeit“ in den Gängen. Hier werden Krankenbetten und Rollstühle durchgeschoben, Patienten laufen durch auf dem Weg zur Operation, Ärzte und Pfleger, und kein Fußabstreifer nimmt ihnen zumindest den ärgsten Dreck von den Füßen.

Flankierend zur Reportage des „l’espresso“ hat die „ Repubblica“ eine – weit schwächer belegte – Studie vorgestellt, der zufolge jährlich 4500 bis 7000 Italiener an Infektionen sterben, die sie sich im Krankenhaus zugezogen haben; ein Drittel dieser Todesfälle, heißt es, wäre vermeidbar – zum Beispiel dadurch, dass sich die Ärzte ordentlich die Hände wüschen. Nur sagt den erschrockenen Italienern keiner, dass die Zahlen im angeblich so perfekten Deutschland keineswegs niedriger sind. An Klinikinfektionen erkranken hier nach Angaben der Bundesregierung 500 000 bis 800 000 Personen jährlich. 2400 „spitalbedingte“ Todesfälle pro Jahr gelten in den Studien allein für die Intensivstationen als gesichert, Schätzungen für den gesamten Krankenhausbereich sprechen von bis zu 30 000 Toten pro Jahr.

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