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Zehn Jahre ist dieses Bild alt: Es zeigt eine Feier zur Eröffnung des Strafgerichtshofs, am Rednerpult: der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan.

© dpa

10 Jahre Strafgerichtshof: Und sie morden immer weiter

Zehn Jahre Internationaler Strafgerichtshof: Die Hoffnung auf Abschreckung durch das Ahnden von Grausamkeiten hat sich nicht erfüllt, meint Malte Lehming. Denn in Den Haag trifft Ineffizienz auf Ideologie.

Vier Nachrichten des Tages, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben: Wachsender Terror in Kenia, Granaten werden in Kirchen geschmissen, Gläubige erschossen; Syriens Präsident Baschar al-Assad lässt weiter wüten, auch die Opposition kündigt eine Verstärkung ihres bewaffneten Kampfes an; in Mali setzen islamistische Extremisten ihr Zerstörungswerk am Weltkulturerbe in Timbuktu fort; der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) feiert sein zehnjähriges Bestehen.

Wie passt das zusammen? Ganz einfach: Offenbar wird eine zentrale Hoffnung, die Anhänger des ICC stets hegten, gegenwärtig brutal widerlegt. Wie frohlockte heute vor zehn Jahren der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan: „Die Welt erhält mit dem neuen Gerichtshof ein wichtiges Abschreckungsmittel gegen künftige Grausamkeiten.“ Abschreckung? Warnung? Mahnung? Von wegen! Dass durch die Arbeit jener 18 Richter und 700 Mitarbeiter, die in zehn Jahren eine knappe Milliarde Euro gekostet haben, was zu einem einzigen Urteil führte (das teuerste Urteil der Weltgeschichte!), dass also durch deren Arbeit sich irgendein potenzieller Völkermörder hätte abschrecken lassen, ist nicht bekannt. Es wäre auch überraschend.

Denn in Den Haag trifft Ineffizienz auf Ideologie. In Zeiten, da die negative Generalprävention – also die Abschreckung potenzieller Täter – in ihrer Wirksamkeit ohnehin stark bezweifelt wird, weil die Aussicht auf spätere Strafen zur Tatzeit meistens verdrängt wird, bildet ausgerechnet dieser Aspekt das vorrangige Begründungsmotiv der ICC-Sympathisanten. Dabei gilt inzwischen auch auf internationaler Ebene, dass es zwischen Strafrecht und Normbewusstsein keine eindeutige Korrelation gibt, nach dem Motto: je drakonischer das eine, desto ausgeprägter das andere. Nein, der Glaube, die Welt würde durch ein Völkergericht besser, mag nobel sein, ist aber naiv.

Doch nicht nur die Realität entzieht dem ICC ein Stück seiner vermeintlichen Relevanz, er selbst tut das genauso. Im September 2009 etwa teilte der Strafgerichtshof mit, Vorermittlungen aufzunehmen wegen des Verdachts von Kriegsverbrechen in Afghanistan – und zwar sowohl gegen die radikal-islamischen Taliban und Al Qaida als auch gegen die internationalen Truppen ISAF und OEF. Das nennt man Äquidistanz. Das ICC-Verständnis von Völkerrecht unterscheidet eben nicht zwischen Terroristen und jenen, die sie bekämpfen. Und gäbe es in den Statuten nicht das Rückwirkungsverbot, säßen heute womöglich auch Tornado-Piloten der Bundeswehr auf der Anklagebank, weil sie am völkerrechtswidrigen Kosovokrieg teilnahmen.

Überhaupt der internationale Terrorismus: Mit dem tut sich der ICC, der laut Statut zuständig ist für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Angriffskriege, äußerst schwer. Obwohl der „systematische Angriff gegen Zivilisten“ (Artikel 7) verurteilt wird, ist die Auslegung des Wortes „systematisch“ umstritten. So bedauern ICC-Anhänger zwar inbrünstig, dass man die US-Verantwortlichen wegen Guantanamo nicht anklagen kann, weil die USA eine Ratifizierung des Statuts abgelehnt haben, doch nur selten ist die Forderung zu hören, intensiver gegen Mitglieder internationaler Terrornetzwerke zu ermitteln. Dick Cheney und Donald Rumsfeld hätte man liebend gerne, weitaus geduldiger ist man bei Aiman az-Zawahiri, der aktuellen Nummer eins bei Al Qaida.

Kein Wunder, dass neben den USA auch andere global bedeutsame Staaten, die insgesamt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentieren, das ICC-Statut nicht ratifiziert haben, darunter China, Russland und Indien. Deutschland, als bislang zweitgrößter Beitragszahler, hat immerhin angekündigt, den Etat des Weltstrafgerichts im kommenden Jahr um zehn Prozent zu verringern. Die Euphorie von vor zehn Jahren ist verpufft, der Wirklichkeitssinn fängt an, sich durchzusetzen. Die Einsicht hat zwar lange gedauert, und sie war teuer, aber besser spät als nie.

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