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Meinung: Afghanistan: Jagd auf das Gespenst von Tora Bora

Amerika hat einen Krieg geführt, um die Drahtzieher der Terroranschläge von New York zur Rechenschaft zu ziehen. Der Feldzug verlief nach einigen Wochen des Zweifelns vergleichsweise schnell und glatt.

Amerika hat einen Krieg geführt, um die Drahtzieher der Terroranschläge von New York zur Rechenschaft zu ziehen. Der Feldzug verlief nach einigen Wochen des Zweifelns vergleichsweise schnell und glatt. Jetzt aber, da auch Kandahar, die letzte Taliban-Hochburg, gefallen ist und die Amerikaner ganz nah dran sind an ihrem Ziel, sieht man erst, wie schwer es zu erreichen ist. Keine Spur von Osama bin Laden. Auch keine von seinem langjährigen afghanischen Gastgeber, Talibanführer Mullah Omar.

Wie kann der Weg aussehen zu einer Sühne für die Opfer, die rechtsstaatlichen Grundsätzen genügt, aber mit den Mitteln des Krieges erreicht werden muss?

Zum Thema Online Spezial: Kampf gegen Terror Afghanistan: Wege jenseits der Bomben Bundeswehr-Einsatz: Deutschland und der Krieg Fotostrecke: Krieg in Afghanistan Dreierlei ist möglich: Man fasst bin Laden lebend, tot oder nie. Der dritte Fall wäre die Geburt einer Legende, eines Heldenmythos für Islamisten: eines arabischen Barbarossa, der, wenn auch in anderem Kontext als der rotbärtige Kaiser im Kyffhäuser, der einst aus dem Berglabyrinth wieder auftaucht.

Präsentieren die USA eine angebliche Leiche Osamas, läuft es in abgemilderter Form auf dasselbe hinaus - sofern es nicht gelingt, seine Identität zu beweisen. Deshalb wäre Amerika dankbar für Haare, Hautabschürfungen oder sonstige potenzielle Träger seines genetischen Fingerabdrucks. Die hat Washington aber nicht.

Das weiß auch bin Laden; er wird alles dransetzen, einer Verhaftung zu entgehen, um als ein Märtyrer zu überleben, den selbst die mächtigen USA nicht zu fassen bekamen. Die Amerikaner können ihn einkreisen, in die Enge, in den Tod treiben. Aber wie wollen sie es anstellen, ihn lebend zu kriegen? Nach den Erfahrungen in Masar-i-Scharif oder Kandahar lassen sich zwar die afghanischen Taliban bei Amnestiezusagen zur Aufgabe bewegen, nicht aber die arabischen Söldner. Eine Auslieferung Osamas dank geduldiger Verhandlungen - das ist allenfalls eine vage Hoffnung.

Und wenn Osama der Anti-Terror-Allianz doch lebend in die Hände fiele: Soll man kurzen Prozess machen und ihn standrechtlich erschießen? Oder vor ein Gericht stellen - aber welches: New York oder Den Haag, amerikanisch oder international? Klar, dass die USA bin Laden, Mullah Omar und ihre engsten Helfershelfer für sich reklamieren. Aber haben sie gerichtsfeste Beweise? Und, nur mal so nebenbei: Sollten Briten oder andere europäische Verbündete Osama ergreifen, dürften sie ihn nach europäischem Recht nicht an Amerika ausliefern - weil ihm dort die Todesstrafe droht. Ganz zu schweigen von den Bedenken gegen Prozesse vor US-Militärtribunalen.

So gleicht die gefährliche Suche im Labyrinth von Tora Bora schon jetzt der Jagd nach einem Gespenst. Das ist nicht die Schuld von George W. Bush; er muss alles tun, um Osama zur Verantwortung zu ziehen. Die Umstände sind so in einer Welt, in der sich das staatliche Gewaltmonopol mit internationaler Anarchie mischt. In der Amerika - gerade Amerika - sich an rechtsstaatliche Gerichtsverfahren halten muss mit Beweisen, Zeugen, Identitätsnachweisen und Verteidigern. In der aber zugleich vielerorts allein die Gesetze des Krieges gelten, jedenfalls in der Bergwelt von Tora Bora.

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