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Afghanistankrieg: Die Reifeprüfung

Obama erhöht die Zahl der US-Soldaten in Afghanistan gegen starke Einwände, auch aus seiner eigenen Partei. Wer den Erfolg dieses Präsidenten will, ist jetzt gefordert. Obama bittet die Alliierten um eine Aufstockung ihrer Kontingente. Diese Bitte muss ihm erfüllt werden.

Dieses Jahrzehnt trägt als Brandzeichen ein Datum, den 11. September 2001. Die Spuren, die dieses Ereignis zog, sind weltumspannend. Sie umfassen zwei Kriege, die gesamte islamische Welt, die Neujustierung von Sicherheit und Freiheit im Westen, Guantanamo, Abu Ghraib, den Patriot Act in den USA, und sie enden weder beim Atomstreit mit dem Iran noch beim Schweizer Minarettreferendum. Die Schockwellen von „Nine Eleven“ wirken nach, lediglich ihre Intensität nimmt ab. Von den Twintowers in New York bis zum Hindukusch führt kein klares Gefühl mehr.

Daraus resultiert ein Legitimationsproblem. George W. Bush konnte allein durch Erinnerungsbeschwörungsrituale seine Landsleute vom Sinn des Afghanistankriegs überzeugen. Sein Nachfolger indes, Barack Obama, muss Phrasen und Pathos vermeiden. Acht Jahre danach fällt der Furor als Movens aus. Was bleibt, sind kühle strategische Kalküle, Risikoabwägungen, Durchhalteparolen. Dabei hat auch der 44. US-Präsident den Kampf gegen die Taliban und Al Qaida stets leidenschaftlich unterstützt. Dennoch musste er Ansprüche, Ziele und Erwartungen sukzessive herunterschrauben. Inzwischen weiß Obama – und mit ihm wissen es wohl alle verantwortlichen Politiker der Nato: Gewinnen lässt sich dieser Krieg in einem umfassenden Sinne nicht. Vom Aufbau einer stabilen, wehrhaften Demokratie, in der weder Opium hergestellt noch bestochen wird, in der es ausreichend Schulen und Krankenhäuser gibt, in der die Frauen emanzipiert sind und der Islam nur eine Privatreligion ist: Der Traum ist geplatzt. Aber alle wissen auch: Die Allianz darf sich nicht geschlagen geben. Vietnam und Somalia sind keine Optionen. Es gilt ein striktes Kapitulationsverbot.

„Nicht resigniert, nur reichlich desillusioniert“ – die alte BAP-Zeile trifft die Stimmung. Das lässt all jene unzufrieden, die behauptet hatten, mit Entschlusskraft und genügend Truppen lasse sich das Land rasch befrieden. Und es provoziert jene, die anklagend „Siehste!“ rufen, weil sie Kriege ohnehin für falsch halten, auch den gegen die Bande eines Massenmörders wie Osama bin Laden.

Daher sind Barack Obama, Nicolas Sarkozy, Gordon Brown, Angela Merkel und all die anderen Truppenentsender von demselben Schicksal betroffen. Visionär erklären können sie den Afghanistankrieg ihren Landsleuten nicht. Trotzdem müssen sie ihn führen, möglichst effizient. Sie müssen tröstende Worte finden für die Familien der Opfer. Und sie müssen sich auf die Reife ihrer Parlamentarier verlassen, die der Versuchung widerstehen sollten, das Thema zu instrumentalisieren.

Vor dieser Folie ist Obamas Entscheidung, erneut die Zahl der US-Soldaten um 30.000 zu erhöhen, äußerst mutig. Sie zeugt von dem Willen des Friedensnobelpreisträgers, das Blatt noch einmal wenden zu wollen – gegen die Einwände aus seiner eigenen Partei; gegen die Republikaner, die ihm verübeln, ein Abzugsdatum genannt zu haben; gegen wütende Steuerzahler, die ihm vorrechnen, dass jeder entsendete Soldat pro Jahr eine Million Dollar kostet. Im Unterschied zum Irak, der Finanzkrise, Guantanamo und Nahost ist Afghanistan für Obama kein lästiges Erbstück mehr, das er seinem Vorgänger verdankt, sondern ein zentraler Teil der von ihm selbst zu verantwortenden Außen- und Sicherheitspolitik. Es ist „sein“ Krieg. An drei Dingen wird er einst gemessen: erstens Arbeitsplätze und Konjunktur, zweitens Gesundheitsreform, drittens Afghanistan.

Wer den Erfolg dieses Präsidenten will, ist jetzt gefordert. Obama bittet die Alliierten um eine relativ moderate Aufstockung ihrer Kontingente. Diese Bitte muss ihm erfüllt werden. Leicht wird das für niemanden, auch für die Deutschen nicht. Kriegsmüdigkeit, verblassende Erinnerungen an den Schrecken des Terrors, Finanzsorgen – kein Land ist davon verschont. Das heißt aber auch, dass kein Land als exklusive Ausrede für Nichthandeln den Hinweis auf Akzeptanzprobleme hat. Angela Merkel sagt: Der Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch trägt dazu bei, Menschen in Deutschland vor internationalem Terrorismus zu beschützen. Wenn sie meint, was sie sagt, dann muss sie sehr bald Flagge zeigen.

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