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Abgekanzelt vom großen Vorsitzenden der kleineren Schwesterpartei: Die Kanzlerin im November 2015 auf dem CSU-Parteitag. In der Haltung, die normalerweise ein Dankwort lang dauert, musste sich Angela Merkel die Gardinenpredigt Horst Seehofers gegen ihre Politik gefallen lassen.

© Sven Hoppe/dpa

Alltagssexismus: Krone richten, weitergehen – hört das denn nie auf?

Frau hat es nie wirklich nach oben geschafft. Die unglaubliche Kanzlerinkandidatendebatte der Union zeigt das gerade wieder.

Ich habe resigniert. Diesmal habe ich einen guten alten Freund gebeten, den jährlich fälligen Handwerkertermin an meiner Stelle zu übernehmen. Er ist etwa 1,85 Meter groß, sonore Stimme, spricht Deutsch ohne jeden nichtdeutschen Akzent. Vor allem aber ist er ein Mann. Die Chancen stehen daher gut, dass das fragliche Gerät am Ende wirklich in Ordnung gebracht wird und der Fachmann, den ich bezahle, den Freund nicht mit Erklärungen abspeist, es sei doch alles in Ordnung – oder meine Schuld –, die jede mittlere Intelligenz beleidigen würden.

Ich bin eine Frau und kann trotzdem bis drei zählen

Wie oft ich schon in etlichen Jahrzehnten Leben darum kämpfen musste, ernst genommen und einer plausiblen Erläuterung wert befunden zu werden, wenn das Auto stand, der Boiler bockte oder der Computer streikte. Ich weiß es nicht, aber es waren sehr viele Male. Ja, ich bin eine Frau, aber ich hätte trotzdem gern gewusst, weshalb’s das Ding hier wieder nicht tut, obwohl Sie es gerade angeblich gewartet haben. Nein, ich bin kein Mann, aber ich kann dennoch bis drei zählen.

Ich weiß, es gibt zum Glück auch viele andere Techniker, Handwerker, Informatiker und inzwischen – noch mehr Glück – auch ein paar Frauen in diesen Berufen. An der Großlage ändert dies leider nichts: Frauen sind immer noch auf weiten Flächen der Welt, physischen wie virtuellen, Unbefugte auf einem Gelände, das prinzipiell nie ihnen gehört.

Wann war der Kanzler jemals nicht Kanzlerkandidat?

Vermutlich wegen dieses aktuellen Handwerkertermins sehe ich die Kanzlerinkandidatendebatte dieser Tage gerade mit etwas anderen Augen. Dass es sie überhaupt gibt, ist schließlich ungewöhnlich genug. Wann jemals wäre ein amtierender Kanzler nicht selbstverständlich der Kandidat seiner Partei für die nächste Bundestagswahl gewesen? Wohlgemerkt, der Kandidat. Jetzt ist da eine Kandidatin, und die sich mehrenden Solidaritätserklärungen aus der CSU für Merkel werden gefeiert, als müsse sie dafür dankbar sein: Sie ist zwar eine Frau, eine Unbefugte, aber wir lassen sie, vielleicht, trotzdem an der Macht.

Wer meint, Merkels Rolle als Nummer eins der Konservativen sei wegen ihrer kontroversen Flüchtlingspolitik kein Selbstläufer, der sei an ihren Vorvorgänger Helmut Kohl erinnert: Der nahm den Deutschen die geliebte D-Mark, und auch die Kosten der Wiedervereinigung verbinden sich mit seiner Amtszeit. Dafür steht er heute als Kanzler der Einheit auf dem Denkmalsockel, Merkel dagegen am Pranger – für ähnlich weitreichende und mutmaßlich ebenso alternativarme Entscheidungen.

Für Frauen gibt es keinen Amtsbonus

Als kürzlich Kohls früherer Generalsekretär Heiner Geißler gefragt wurde, ob es denn nicht auch damals so ruppig zwischen den christlichen Schwesterparteien zugegangen sei, antwortete der: Nein. Nie sei die Person im Kanzleramt aus dem eigenen Lager so und so offen unter Beschuss genommen worden.

Für Frauen existiert der Amtsbonus nun einmal nicht. In den Alltag übersetzt: Für sie gilt die Annahme nicht, dass sie bis zum Erweis des Gegenteils da, wo sie stehen, richtig sind und dafür Respekt erwarten dürfen. Wie immer man politisch zur Kanzlerin steht, als Person und Projektionsfläche ist Merkel ein schlagendes Beispiel dafür, wie in unseren aufgeklärten Zeiten in einem Frauenleben Tag für Tag wieder erkämpft werden muss, was doch fraglos sein sollte. Bis oben an die Spitze des Landes. Es ist, als müsste der Papst jeden Tag neu durchsetzen, dass er der Papst ist und nicht als der gelernte Chemietechniker im Vatikan sitzt, der er auch ist.

Wer sich stets beweisen muss, hat weniger Energie

Wer das muss, braucht ein Mehrfaches an Energie, die dann nicht zur Verfügung steht, um sie zum Beispiel in die Arbeit zu stecken. Oder in die Verbesserung der Welt. Es ist, volkswirtschaftlich gesehen, eine Verschwendung von Ressourcen, es macht Menschen auch manchmal unnötig schwierig und bitter. Und es ist einfach sehr ungerecht.

Ja, und jetzt jammert wieder eine über die Ungerechtigkeit der Welt? Nein, tut sie nicht. Schließlich sind Frauen daran gewöhnt, „rückwärts und auf Stöckelschuhen“, wie die beiden wunderbaren Ironikerinnen Cheryl Benard und Edit Schlaffer es einmal formulierten, so schnell zu sein wie Männer, wegzulächeln, dass man sie nicht für voll nimmt und nicht einmal flüsternd zu erwähnen, dass es Sexismus ist, wenn sie anders als der mittelmäßige Kerl am Schreibtisch gegenüber nicht befördert oder schlechter bezahlt werden.

Nein, natürlich wird nicht gejammert. Wir stellen aber fest: Es könnte gern jeden Tag Internationaler Frauentag sein.

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