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Die Mehrheit der Katalanen will die Unabhängigkeit.

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Abspaltung von Spanien: Katalonien: EU muss Alternativen zur Unabhängigkeit aufzeigen

Die Sezessionsbestrebungen Kataloniens sorgen nicht nur für Unruhe in der Region, sondern stellen die Europäische Integration in Frage. Sabine Riedel schlägt deshalb die Einrichtung einer europäischen Schiedsstelle für Regionalkonflikte vor.

Viele Bürger der Europäischen Union verfolgen das Anliegen der Katalanen mit großer Sympathie. Denn wer will schon Volksabstimmungen als Ausdruck des Bürgerwillens in Frage stellen? Auch in Deutschland wünschen sich die Menschen mehr Bürgerbeteiligung, vor allem in der Kommunal- und Regionalpolitik. Doch mitentscheiden heißt auch, Mitverantwortung für die Folgen zu tragen. Dies setzt voraus, dass die Wähler vor Referenden ausreichend informiert sind. Im Falle der katalanischen Volksabstimmung vom 9. November lag hier vieles im Argen. Dies fällt nicht nur auf den katalonischen Ministerpräsidenten Artur Mas, sondern auch auf die spanische Zentralregierung zurück. Diese weiß zwar das Verfassungsgericht auf ihrer Seite, schließlich hat sich die Regionalregierung auch mit ihrer nicht bindenden Befragung über Recht und Gesetz hinweggesetzt. Dennoch hätte Madrid einen Dialog über inhaltliche Argumente anstoßen müssen. Dies blieb aus. Die britische Regierung dagegen hatte sich der Herausforderung eines Referendums gestellt und nicht gezögert, mit aller Deutlichkeit auf die hohen Risiken einer staatlichen Sezession hinzuweisen.

Eine Unabhängigkeit Kataloniens würde die Situation der Region verschlechtern

In Katalonien drangen erst wenige Tage vor der Volksabstimmung konkrete Zahlen über die zu erwartenden wirtschaften Folgen einer Unabhängigkeit an die Öffentlichkeit: Nach einem Gutachten der Katalanischen Bürgergesellschaft sei in Katalonien mit einem Anstieg der Staatsverschuldung auf 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und der Arbeitslosenrate auf ca. 34 Prozent zu rechnen. Denn allein der Handel mit dem Rest Spaniens könnte um 45 Prozent zurückgehen. Zudem würde Katalonien nicht nur aus Spanien, sondern auch aus der EU austreten und seine Mitwirkungsrechte im EZB-Rat verlieren. Sollte sich eine Finanzkrise wie im Sommer 2012 wiederholen, könnte sich Barcelona weder an Madrid noch an Frankfurt wenden. Damals rettete der spanische Staat seine reichste Region mit Milliarden vor dem Bankrott, obwohl Madrid selbst auf die Hilfen des Europäischen Rettungsschirms angewiesen war.

Die finanzielle Abhängigkeit Kataloniens vom Zentralstaat ist also mit der Finanzkrise 2012 noch gewachsen. Dennoch verkündete das regierende liberal-konservative Parteienbündnis "Konvergenz und Union" (CiU) am 19. Dezember 2012 ein Programm zum "nationalen Übergang" in einen unabhängigen Staat, das unter anderem ein Referendum vorsah. Mitgestaltet wurde es von der separatistischen Republikanischen Linken Kataloniens (ERC), das fest im Parteiennetzwerk der Europäischen Freien Allianz (EFA) verankert ist und Katalonien als Testballon für weitere Unabhängig¬keitsbewegungen innerhalb der Europäischen Union betrachtet. Artur Mas hat deren Idee einer "internen EU-Erweiterung" aufgegriffen, wonach sich die großen Mitgliedstaaten entlang von Sprachgemeinschaften in Kleinstaaten auflösen sollten, die nahtlos EU-Mitglieder würden.

Der Katalanismus schürt gesellschaftliche Konflikte in Spanien und der EU

Eine solche Reform würde die EU ins 19. Jahrhundert zurückkatapultieren. Damals waren Staatsgrenzen noch Verhandlungsmasse von Erbmonarchien, die das Modell der Sprach- und Kulturnation dazu missbrauchten, ihre Territorien zu erweitern oder sich ungefragt in die Angelegenheiten der Nachbarn einzumischen. Die Völker Europas haben diesem permanenten Konfliktherd bereits nach dem Ersten Weltkrieg einen Riegel vorgeschoben: Ihre neue Friedensordnung gründete sich im Wesentlichen auf der Anerkennung der bestehenden Grenzen und auf dem Prinzip der Souveränität der ersten Demokratien Europas. An dieser zivilisatorischen Errungenschaft rütteln nicht zuletzt die Katalanen, wenn sie ihre Forderung nach Unabhängigkeit mit ihrem "Katalanismus" begründen. Danach soll die katalanische Regionalsprache zur verpflichtenden Amtssprache werden und das Spanische ablösen. Diese Ideologie setzt auf Konflikt, weil sie das kulturell Trennende in den Vordergrund stellt, statt den sozialen Zusammenhalt zu fördern. Abgesehen davon sind nur zwei Drittel der Bevölkerung der katalanischen Regionalsprache mächtig. Spanisch verstehen dagegen alle Einwohner Kataloniens.

Diese Sprachpolitik birgt nicht nur innergesellschaftliches Konfliktpotential, sondern schürt Spannungen mit Nachbarregionen. Denn aus Sicht Barcelonas gehören auch Valencia, die Balearen, Gebiete von Aragonien und selbst Südfrankreich zu den "katalanischen Ländern", d.h. zu Gebieten, wo Katalanisch als Regionalsprache gesprochen wird. Um dies zu erhärten, berufen sich die katalanischen Separatisten auf das schriftsprachliche Erbe des Mittelalters. Zwar haben sich die Balearen mit dem katalanischen Sprachnationalismus arrangiert, nicht aber Valencia oder Aragonien. Diese verfolgen mittlerweile eine eigene Sprachpolitik. So gaben sie ihren regionalen Dialekten eigene Namen, um sie dem kulturellen Einfluss Barcelonas zu entziehen. Damit stehen nicht einmal die Grenzen eines etwaigen katalanischen Staates fest. Wie passt ein solches kulturalistisches Staatskonzept zum Projekt der Europäischen Integration?

Die EU sollte eine Schiedsstelle für Regionalkonflikte einrichten

Tatsächlich konterkariert ein solches Konzept ein Europa, das weiter zusammenwachsen möchte. Aus diesem Grund sollte auch die europäische Politik nicht länger zuschauen, wie sich die Spanier und andere Unionsbürger in unnötige Kulturkonflikte verstricken, sondern alternative Ideen entwickeln, wie Konflikte gelöst werden können, ohne staatliche Grenzen zu verschieben So könnten das Europäische Parlament oder ein Mitgliedstaat wie Deutschland sich dafür einsetzen, dass eine neutrale europäische Schiedsstelle für Regionalkonflikte eingerichtet wird, die Beschwerden aus den Regionen über Defizite ihrer Selbstverwaltung entgegennimmt, die jeweiligen Konfliktparteien anhört und Gespräche vermittelt. Eine solche Stelle könnte bei der EU-Administration als Agentur für besondere Aufgaben angesiedelt werden. Ihre Arbeit sollte von einem Ausschuss des Europäischen Parlaments kontrolliert werden, der ihr zusätzliche Impulse gibt und für die nötige Transparenz sorgt. Dies wäre nicht zuletzt ein sinnvoller Beitrag zur Förderung der sozialen Kohäsion in Europa.

Prof. Dr. Sabine Riedel forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zur politischen Kultur Europas und lehrt Politikwissenschaft an der Universität Magdeburg. Im November 2014 erscheint ihr Buch "Die kulturelle Zukunft Europas. Demokratien in Zeiten globaler Umbrüche" im VS-Verlag, Wiesbaden 2014. Die SWP berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".

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