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Geflohene Kurdin und Kind in der Türkei

© Kai Pfaffenbach/Reuters

Flüchtlinge: Auf dem Verschiebebahnhof

Abschieben, Sogwirkung: Ganz wird auch die aktuelle Asyldebatte die alten Sünden nicht los. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Zum Glück ist vieles anders geworden in den vergangenen beiden Jahrzehnten. Die markige Rhetorik, die Überfremdungspanik, die zu Beginn der 1990er Jahre den Auftakt zur drastischen Einschränkung des Asylartikels im Grundgesetz lieferte und ihn begleitete, ist aus der Mode. Vielleicht sind diesmal die Zahlen überzeugend, die nicht aus Deutschland stammen, sondern aus der weiten Welt: Mehr Menschen auf der Flucht denn je seit dem Zweiten Weltkrieg und die meisten finden in Nachbarländern Zuflucht, die weniger Ressourcen haben als Europa, um Flüchtlinge zu versorgen. Dass im Libanon bereits jeder fünfte Einwohner aus Syrien stammt, ist eine dieser Zahlen, die in unserem Teil der Welt nachdenklich machen müssen. Inzwischen wissen viele, dass nur Prozentbruchteile der Fluchtbewegungen in Europa ankommen.

Bürgerkriegsopfer mit Rechenschieber?

Aber nicht alles ist anders geworden. Auch jetzt wieder wird rhetorisch der Verschiebebahnhof Kosten wiedereröffnet; Länder und Gemeinden streiten darüber, wer was zu zahlen hat für die Aufnahme der Flüchtlinge – notabene nicht annähernd so viele wie zu Beginn der 1990er! Und die Innenpolitik hat einigen ihrer alten Sünden, wie sich zeigt, noch immer nicht abgeschworen. Wieder ist von Pull-Faktoren – diesmal heißt’s Sog – die Rede, die die Menschen nach Deutschland trieben. Da sich herumspreche, dass hier nicht konsequent abgeschoben werde, kämen mehr und mehr Menschen.

Der rational Kosten und Nutzen abwägende Homo oeconomicus hat in der Wirtschaftswissenschaft so gut wie ausgedient, als Erklärungsmodell für das Verhalten von Flüchtenden scheint er noch gut genug zu sein. Dabei ist das Modell da besonders untauglich. Den meisten von ihnen dürfte es schlicht ums Überleben gehen. Und dass sie kommen, man kann diese schlichte Wahrheit anscheinend nicht oft genug betonen, hat seine Ursache nun einmal darin, dass sie da, wo sie lebten, geboren wurden, aufgewachsen sind, keine (Über-) Lebenschance mehr sehen.

Gute und schlechte Fremde

Die konsequente „Rückführung“, vulgo Abschiebung von Flüchtlingen, ist ebenso eine Redefigur. Vieler können die Behörden gar nicht habhaft werden, weil sie untergetaucht sind und sich irgendwie durchschlagen. Nimmt man aber die Zahlen, die die Statistik hergibt, die sogenannten Dublin-Fälle, die auf die EU zurückverteilt werden sollen, kommt man auf gut 21 000. Die Zahl aller Flüchtlinge auf der Welt geht in die Millionen. Sollte das Gelingen deutscher Flüchtlingspolitik tatsächlich vom Bleiben oder Gehen von 21000 Menschen abhängen? 

Dass der deutsche Mainstream inzwischen weniger engherzig definiert, was fremd ist, hat sich am Mittwoch bei der CDU erwiesen. Sie traut sich langsam, ihre Mitglieder und Wähler nicht mehr danach zu sortieren, ob sie aussehen „wie die Ahnengalerie des Ortsvorsitzenden“, wie es ein Landespolitiker formulierte. Als nächstes sollte die Aufteilung in gute und schlechte Fremde fallen. Nicht nur, weil viele „Gute“ dadurch darauf gestoßen werden, dass sie zunächst einmal Fremde sind. Sondern auch, weil man denen, die jetzt mit dem letzten Hemd hier landen, nicht so leicht ansieht, ob sie Last oder Bereicherung werden. Warten wir’s ab. Um irgendwann zu lernen, dass das sowieso keine Kategorien für Menschen sind.

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