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Der Auschwitz-Überlebende Justin Sonder

© dpa/Bernd Thissen

Auschwitz-Überlebender Justin Sonder: "Senkte er den Daumen, bedeutete das den Tod"

Der Holocaust-Überlebende Justin Sonder ist Nebenkläger im Detmolder Auschwitz-Prozess. Ein Porträt

Justin Sonder hat schon oft über Auschwitz geredet. Doch an einem bestimmten Punkt hat der 90-Jährige aus Chemnitz jedes Mal das Gefühl, dass ihm die Worte fehlen: „Ich bin der deutschen Sprache nicht mächtig genug, um darzustellen, was in Auschwitz eine Selektion war.“

Nun sagt Sonder im Detmolder Auschwitz-Prozess aus. Aus Sicht des Überlebenden, der Nebenkläger im Verfahren gegen den früheren SS-Wachmann Reinhold Hanning ist, waren die Selektionen das Schlimmste.

Im März 1943 kam der jüdische Jugendliche in dem Vernichtungslager an. „Der Zug hielt auf einer schneebedeckten Fläche. Das war ein Inferno auf der Rampe.“ Kinder schrien nach ihrer Mutter, Hunde bellten, SS-Männer brüllten. Die Neuankömmlinge wurden bei der Selektion nach Alter und Beruf gefragt. „17 Jahre, Monteur“, sagt Justin Sonder. Er wird nach links geschickt, zu denen, die noch eine Weile weiterleben dürfen.

Bei der Selektion fragt ihn ein SS-Mann, ob er Verwandte in Deutschland habe. Sonders Angehörige waren zu dem Zeitpunkt bereits deportiert oder tot, er erinnert sich aber an eine Frau, keine Jüdin, sondern Christin, die seiner Familie geholfen hatte. „Ja, eine Tante“, antwortet er.

Er muss eine Postkarte an sie schreiben, auf dem Rücken des SS-Manns, der ihm zugleich den Text diktiert. „Bin gut im Arbeitslager Monowitz angekommen.“ Später erfährt er, dass die Karte die Empfängerin wirklich erreicht hat.

Sonder überlebte in Auschwitz nicht nur diese eine Selektion, sondern insgesamt 17. „Früh um 6 wurde die Tür aufgerissen, ein SS-Mann niederer Charge schrie: Selektion. Alle mussten sich nackt ausziehen und warten.“ Mal standen sie so eine halbe Stunde, mal vier Stunden. „In dem Moment denkt man: Gelingt es dir noch einmal, Arbeitssklave der IG-Farben zu sein, oder hast du nur noch zwei, drei Stunden zu leben?“

Wenn der SS-Arzt kam, mussten die Häftlinge einzeln an ihm vorbeigehen. „Senkte er den Daumen nach unten, bedeutete das Tod.“

Wenn Justin Sonder in Schulen über Auschwitz spricht, wird er oft gefragt, ob es auch SS-Männer gab, die menschlich waren. „Nein, absolut nicht“, sagt er. Dass in Detmold einer der Wachleute doch noch vor Gericht steht, freut ihn. Dabei ist ihm egal, dass Hanning aller Voraussicht nach nicht mehr ins Gefängnis kommt. „Wenn er gar keine Strafe kriegt, bin ich völlig einverstanden. Es geht darum zu sagen, was war.“

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