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Meinung: Ausfälle und Einfälle

Europa und die USA streiten über den Krieg – und machen ihn damit wahrscheinlicher

Die Geschichte ist grausam. Würden gute Absichten ihren Verlauf bestimmen, lebten wir im Paradies. Doch leider walten in ihr auch andere Kräfte, höchst geheimnisvolle, jene, die stets das Gute wollen und doch das Böse schaffen. Die lauterste Friedenssehnsucht kann direkt in die Katastrophe führen. Wer das nicht bedenkt, sollte kein Politiker werden. Denn ein Politiker muss auch die unbeabsichtigten Konsequenen seines Handelns berücksichtigen. Die Entschuldigung, etwas zwar bewirkt, aber nicht gewollt zu haben und deshalb nicht verantwortlich zu sein, ist ihm verwehrt. So brutal ist die Wirklichkeit.

Als einer der Härtesten im anschwellenden amerikanischen Kriegsgesang postiert sich dieser Tage Außenminister Colin Powell. Das überrascht. Ausgerechnet Powell, dem es zu verdanken ist, dass George W. Bush sich mit seiner Irak-Politik überhaupt an die Uno wandte, schlägt inzwischen ungewohnt schroffe Töne an. Er befürwortet eine Invasion auch ohne neues UN-Mandat. „Es besorgt mich nicht, wenn wir das alleine erledigen müssten. Falls es zum Krieg kommt, würden viele Nationen auf unserer Seite stehen.“ Die Arbeit der UN-Inspekteure ist für ihn so gut wie beendet. „Die Frage ist nicht, wie lange sie noch dauern sollen. Inspektionen funktionieren einfach nicht.“

Powells Schulterschluss mit den Falken im US-Kabinett resultiert aus einer tiefen Enttäuschung. Er fühlt sich düpiert, besonders von Frankreich, aber auch von Deutschland. Von diesen beiden Ländern sei er Anfang der Woche in eine Falle gelockt worden, heißt es zornig im State Departement, als bei der UN-Vertretung in New York statt einer Entschließung zum Terrorismus plötzlich der Zwist über den Irak in den Vordergrund gerückt wurde. Die Rede von Joschka Fischer soll Powell derart in Rage gebracht haben, dass er wenig später von seinem eigenen Manuskript abwich und zurückpolterte: „Wir können nicht in Inkompetenz erstarren, nur weil wir Angst haben vor den schwierigen Entscheidungen, die vor uns liegen.“

Keine Frage, das rhetorische Kräftemessen treibt diesseits und jenseits des Atlantiks einem Höhepunkt zu. Je heftiger die Salven auf ihre Ziele treffen – „altes Europa“ hier, „Kriegstreiber“ dort –, desto mehr verhärten sich die Fronten. Es geht um viel. In den kommenden Wochen werden welthistorische Entwicklungen eingeleitet. Nicht nur die Entscheidung über Krieg und Frieden muss getroffen werden, auf dem Spiel steht auch die Zukunft der Vereinten Nationen, die der Nato und des transatlantischen Verhältnisses. Starrköpfigkeit verbietet sich ebenso wie Leichtsinn. Die Lage ist ernst.

Die Grundlage aller weiteren Debatten sollte die UN-Resolution 1441 sein. Sie wurde einstimmig vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet und ist von beeindruckender Klarheit. Dem Irak wird darin eine „letzte Gelegenheit“ gegeben, „seinen Abrüstungsverpflichtungen nachzukommen“. Das Regime wird ultimativ aufgefordert, eine „genaue und vollständige Liste abzuliefern, die alle Aspekte seiner chemischen, biologischen und nuklearen Waffenprogramme enthält“. Dass es solche Waffen besitzt, haben frühere UN-Inspekteure nachgewiesen.

Wie geht es weiter? Die Maximalpositionen aufrechtzuerhalten, wäre gefährlich. Die Amerikaner drohen zwar damit, einen Krieg notfalls alleine und ohne UN-Mandat zu führen, aber das wäre fatal, sowohl für den Weltfrieden als auch für die Uno. Niemandem wäre damit gedient, wenn die US-Regierung durch die europäisch-französische Starrköpfigkeit in den Unilateralismus getrieben würde. Andererseits wäre es unrealistisch, von den USA den Abzug ihrer Armada zu erwarten, ohne dass der Irak entwaffnet wurde. Eine solche Blamage kann sich das mächtigste Land der Welt nicht leisten. Das muss bedenken, wer lautstark in das Friedenshorn bläst. Den Frieden zu wollen, ist das eine. Ihn so vehement einzufordern, dass dadurch ein Alleingang der USA wahrscheinlich wird, ist kontraproduktiv. Beide Seiten müssen nachgeben. Die Amerikaner müssen sich erneut an den Sicherheitsrat wenden, und der muss den Druck auf Saddam Hussein erhöhen. Jede andere Politik führt direkt in die Katastrophe.

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