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Im Nationalstadion in Warschau findet am Freitagabend das Eröffnungsspiel der Europameisterschaft statt.

© dapd

Kontrapunkt: Bei Rassismus hört das Spiel auf

Der polnische Fußball hat ein großes Rassismus-Problem - und eindeutig rassistische Vorfälle gibt es in allen Ländern, in allen Ligen. Uefa-Präsident Michel Platini droht mit der gelben Karte - aber den falschen.

Von den beiden Gastgeberländern der Europameisterschaft wird vor allem die Ukraine kritisiert. Aber Wolfgang Grenz, Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, hat in einem Interview mit dem Fußballmagazin „11 Freunde“ auch Polen heftige Vorwürfe gemacht – nicht wegen Menschenrechtsfragen allgemein, sondern, ganz konkret: wegen Rassismus. In polnischen Stadien komme es immer öfter zu fremdenfeindlichen Übergriffen, besonders in Warschau, Krakau, Breslau, Posen und Danzig, also in EM-Städten. Dort würden schwarze Spieler rassistisch beleidigt und mit Bananen beworfen. Und kaum waren die ersten Mannschaften in Polen eingetroffen, zeigte sich, dass der Konjunktiv überflüssig ist: Einige Spieler aus Holland wurden mit Urwaldgeräuschen begrüßt.

Dass Rassismus bei dieser EM ein Thema ist, hat inzwischen selbst der Uefa-Präsident und Politikaseptiker Michel Platini bemerkt. Kritische Bemerkungen von Philipp Lahm zur Ukraine hatte er noch abgegrätscht; doch dann kündigte er an, dass die Schiedsrichter bei rassistischen Vorfällen Spiele unterbrechen und auch abbrechen könnten – und delegierte das ganze Problem damit scheinbar elegant aufs Spielfeld: Rassismus ist jetzt eine Tatsachenentscheidung.

So bereiten sich Berliner auf die Europameisterschaft vor:

Aber was ist Rassismus? In England wird heftig darüber diskutiert, ob es rassistische oder fußballerische Gründe waren, die zur Entscheidung des Nationaltrainers Roy Hodgson führten, den Weltklasseverteidiger Rio Ferdinand von Manchester United zu Hause zu lassen. In einem Kommentar im „Guardian“ zieht der frühere Nationalspieler Sol Campbell eine direkte Verbindung zu einem Verfahren, das erst nach der EM entschieden wird: Es wird gegen den Spieler John Terry geführt, der Ferdinands Bruder Anton in einem Spiel rassistisch beleidigt haben soll.

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Terry wurde zwar als Kapitän abgesetzt, aber für die EM nominiert – er hätte neben Rio Ferdinand in der Innenverteidigung gespielt, wenn dieser nominiert worden wäre. Campbell behauptet nichts, aber er legt nahe, dass Ferdinand ein mittelbares Rassismusopfer ist, und er stützt diese These mit einer eigenen Geschichte: Auch seine Ausmusterung aus der Nationalmannschaft vor zwei Jahren habe keine sportlichen Gründe gehabt. Welche anderen könnte es geben? Na?

Wo Campbell noch bedeutungsschwer fragt, sprechen andere den Vorwurf Rassismus offen aus – und verschwurbeln damit eine Situation, die nichts dringender braucht als Klarheit. Denn eindeutige rassistische, menschenverachtende und antisemitische Vorfälle gibt es viele beim Fußball, in allen Ländern, in allen Ligen. In Berlin zum Beispiel wurden einem unterklassigen türkisch geprägten Verein gerade Punkte abgezogen, weil Spieler des Gegners, ein jüdisch geprägter Verein, übel beleidigt worden waren.

Doch so entschlossen wird von den Verbänden viel zu selten vorgegangen. Die betroffenen Spieler sehen sich oft alleine gelassen oder werden gar noch damit zu beschwichtigen versucht, sie möchten das doch bitte nicht so ernst nehmen, es sei doch nun mal ein emotionales Spiel. Das aber führt dazu, dass manche nur noch und überall Rassismus erkennen, alles unter Generalverdacht stellen – so dass Hodgson am Ende die Wahl hatte, einen Spieler mitzunehmen, den er aus fußballerischen Gründen eigentlich nicht dabeihaben wollte – also vielleicht aus taktischen, atmosphärischen, disziplinarischen oder wegen des Alters –, oder als verkappter Rassist dazustehen.

Um das zu verhindern, müssen die Verbände viel offensiver gegen den offensichtlichen Rassismus vorgehen.

Platini hat das noch nicht verstanden. Dem italienischen Spieler Mario Balotelli, der angekündigt hatte, das Feld zu verlassen, falls er, wie oft schon, rassistisch beleidigt würde, bot Platini nicht Unterstützung an, sondern drohte ihm: mit einer Gelben Karte.

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