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Ist de Papst in Berlin wirklich herzlichst willkommen?

© dapd

Benedikt XVI. kommt: Berlin wird den Papstbesuch überleben

Ein Gespenst geht um in Berlin. Es sperrt den Kiez am Südstern ab, kommt in den Bundestag und ins Olympiastadion. Es bewegt und erregt die Gemüter, wie man es nicht für möglich gehalten hätte.

Berlin gibt sich cool, weltoffen, tolerant und hat einen schwulen katholischen sozialdemokratischen Regierenden Bürgermeister wiedergewählt, der ein Jahrzehnt lang mit den teuflischen Linken paktierte.

Der Papst kommt, der deutsche Papst. Vielen Menschen geht das Herz auf, sie freuen sich auf den Besuch aus Rom. Doch ebenso viele sind irritiert, fragen nach den Kosten des Aufzugs, empfinden die päpstliche Präsenz in den kommenden Tagen als Zumutung. Wer dialektisch denkt, wird sagen: Der Papst, das Oberhaupt einer hierzulande schrumpfenden Glaubensgemeinschaft, hat doch Gewicht. Wozu sonst dieser Zirkus Maximus um den Pontifex?

Der Papst wühlt auf, sein Ankommen in Deutschland, im Sündenpfuhl Berlin zumal, wirkt wie ein Katalysator. Sind Staat und Kirche nicht getrennt? Nun spricht der Mensch Ratzinger offiziell nicht als Kirchenoberhaupt, sondern als vatikanisches Staatsoberhaupt vor dem deutschen Parlament. Die feine protokollarische Drehung verletzt gleichwohl die säkulare Verfassung der Bundesrepublik. Es ist eine gefühlte Verletzung, jedenfalls für Nichtkatholiken.

Das Papa-Mobil hat aber auch Leichen im Kofferraum. Und das ist nicht nur bildlich gesprochen. Der epochale Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche und in weltlich geprägten Einrichtungen, denen Kinder anvertraut sind, schien allmählich aus dem allgemeinen Bewusstsein verschwunden zu sein. Die Medien waren des abstoßenden Themas müde, da kommt es erneut hoch. Auch dafür sorgt die Papst-Visite. Missbrauchsopfer schöpfen wieder Mut, gehen an die Öffentlichkeit, versprechen sich Linderung ihrer lebenslangen Qual und Scham, hoffen auf ein päpstliches Wort – wenn „Aufarbeitung“ keine Phrase bleiben soll.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche andere Ursache für den heiligen Zorn es außerdem gibt.

Es gibt noch eine andere Ursache für die Euphorie und den heiligen Zorn, für die zuweilen bizarren Debatten und Proteste, und die weist über Benedikt XVI. hinaus. Seit einigen Jahren spürt man allgemein ein gewachsenes Bedürfnis nach Religiosität, oder besser: Spiritualität. Wer sich mit dem Islam beschäftigt, fragt nach den eigenen kulturellen Wurzeln. Integration ist eine Frage der gemeinsamen Sprache, das berührt das Privatissimum des Glaubens. Religion ist zu einem Machtfaktor geworden in der globalisierten Welt. Die Übergriffigkeit jedweder Glaubensrichtung bedroht den Frieden, ganz gleich, ob das Wort Jesu oder das Wort des Propheten politisch missbraucht wird. In Zeiten von Aids erscheint ein Kondomverbot terroristisch.

Und schließlich: Glauben und Amtskirche sind nicht ein- und dasselbe. Viele Zeitgenossen sind auf der Suche. In überkommenen hierarchisch-sexistischen Strukturen wollen sie sich gewiss nicht wiederfinden. Die Zahl der Agnostiker, nicht unbedingt der Atheisten, nimmt zu, wie auch der Anteil der Nichtwähler. Die etablierten Parteien ähneln den Kirchen, der katholischen wie der protestantischen. Beiden fehlt es an Nachwuchs und gesellschaftlicher Zustimmung, manchen am Reformwillen. Piraten gibt es überall. Sie fordern Transparenz, Laienbeteiligung, einen neuen Stil. Sie verschaffen sich Gehör.

Auch am Sonntag übrigens, wenn der Papst abgereist ist, bleibt die Gegend um die Nuntiatur gesperrt, wegen des Marathons. Berlin wird’s überleben.

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