zum Hauptinhalt

Meinung: Berliner Senat: Leitartikel: Selbstaufgabe statt Selbstbewusstsein

Wenn es der Regierung gut geht, dann geht es der Opposition schlecht - und umgekehrt. Merkwürdig, dass in der Berliner Landespolitik diese schlichte Gleichung nicht aufgeht.

Wenn es der Regierung gut geht, dann geht es der Opposition schlecht - und umgekehrt. Merkwürdig, dass in der Berliner Landespolitik diese schlichte Gleichung nicht aufgeht. Weder der CDU/SPD-Senat noch die Opposition von PDS und Grünen sind hier in Hochform. Die Stadt verjüngt sich, die Koalition wird alt, die Opposition wächst nicht daran. Das passt alles nicht zusammen. Doch es ist das Fazit einer doppelten Zwischenbilanz. Der Senat ist ein Jahr im Amt, und damit fiel die gestrige Haushaltsdebatte zusammen, die traditionell der Anlass zur Generalabrechnung ist. Bemerkenswert deutlich führten uns die Spitzen der Regierungsfraktionen den Anfang vom Ende vor Augen, die Eingewöhnung in die Abgewöhnung von der Großen Koalition. Und dies schon nach einem Jahr!

Das hat Züge von Wunderlichkeit. Und ein Hauch von undemokratischem Verhalten ist spürbar. Die Regierungsmehrheit, die durch Verfassungsänderung für die Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre gesorgt und den Wählerauftrag für diese Frist erhalten hat, signalisiert, dass ihr die Puste ausgeht. Es gehört zum Ritual des Schlagabtausches, dass die Opposition dem Senat Unfähigkeit unterstellt und sich selbst als Partner empfiehlt. Doch was um alles in der Welt reitet die Regierenden, darauf einzugehen und sich damit selbst in Frage zu stellen? Sie haben glatt ihr Thema verfehlt. Sie könnten ein Feuerwerk des Selbstbewusstseins sprühen lassen. Seit zehn Jahren lenkt Eberhard Diepgen an der Spitze der CDU/SPD-Koalition die Geschicke der Stadt. In dieser Zeit wurde im Zeichen der Einheit eine Menge geleistet. Auch im ersten Jahr dieser Wahlperiode kann sich der Senat einiges auf dem Haben-Konto gutschreiben. Mit der Planung des Großflughafens geht es voran, die Investoren stehen so gut wie fest. Das GmbH-Dach für die städtischen Krankenhäuser ist gebaut, der Verfassungsschutz ist neu geordnet, die Früchte der Bezirksreform werden geerntet; zum 1. Januar gibt es nur noch zwölf Bezirksverwaltungen statt 23. Das Gesicht der Stadt hat sich total verändert. Das hat der Senat nicht allein bewirkt, aber er hat doch wohl mit Rat und Tat daran mitgewirkt. Er müsste sein Licht nicht unter den Scheffel stellen.

Doch statt Aufbruchstimmung geht allen der Abschiedsgedanke wie ein Mühlrad im Kopf herum. Die Partner liegen sich nicht wie in der vergangenen Wahlperiode in Dauerkrächen in den Haaren, aber dafür sticheln sie in öffentlicher Debatte so gnadenlos gegeneinander, dass einem die Haare zu Berge stehen. Merken sie das selbst nicht mehr? Der Modernisierungsweg ist noch lang, aber auf halbem Wege scheinen die zermürbten Kräfte zu erlahmen. Die Stadt verändert sich in rasendem Tempo, der Senat läuft kurzatmig hinterher. Erkennt er sich nicht mehr im neuen Spiegel Berlins?

Mit einer Frage wird der Diepgen-Senat freilich seit zehn Jahren nicht fertig. Was hat im Zeichen der Einheit und unter dem Diktat fortwährender Finanznot Priorität, was ist nachrangig? Wer Prioritäten setzt, muss sich automatisch auch zu Posterioritäten bekennen. Das erfordert klare Entscheidungen, die immer auch mutige, weil schmerzliche sind. Und dort sitzt das Übel. In der letzten Wahlperiode gab es fulminante Ansätze zum Spar- und Modernisierungskurs. Er wurde nach der Wahl gebremst, weil es die CDU immer wollte, und weil die SPD für ihre Antreiber-Rolle vom Wähler nicht belohnt wurde. Nun geben beide den Ängsten der Bürger vor dem Veränderungstempo nach. Das Stadtoberhaupt ist gefordert. Aber Eberhard Diepgen ist immer darauf bedacht, allen wohl und niemandem wehe zu tun. So macht er sich unangreifbar; so hatte er in langen Regierungsjahren Erfolg. Es ist nur keine Lösung der Strukturprobleme. Diepgen muss sich fragen, ob er das Rad in Schwung bringen oder Nachwuchstalenten der CDU Platz machen will.

Die Parteien mögen in ihren Debattierclubs über schwarz-grüne oder rot-rot-grüne Annäherungsversuche reden. Die Parlamentsbühne aber ist der falsche Ort, über Machtfragen zu schwadronieren. So erweckt man den hässlichen Eindruck, dass sich alle nur noch mit sich selbst beschäftigen. Wie wäre es mit der Selbstbesinnung dieser Koalition auf ihre Pflichten, statt den Anfang vom Ende herbeizureden? Arbeit hat sie genug.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false