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Einer der beiden Orte in Boston, an dem die Bomben explodierten.

© AFP

Bomben von Boston: Terror in unseren Köpfen

Nach den Anschlägen von Boston wird wieder über das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit debattiert. Doch Sicherheit bedeutet auch Freiheit von Angst. Insofern stehen sich in der Debatte nicht ein starker Staat und ein freies Individuum gegenüber, sondern verschiedene Freiheiten.

Terror tötet. Er erzeugt Angst. Angst entsteht durch Imagination. Imagination ist eine Gabe des Geistes. Was wäre, wenn? Wenn Terroristen das Trinkwasser verseuchen, wenn sie eine „schmutzige“, mit radioaktivem Material angereicherte Bombe zünden, wenn sie Giftgase in U-Bahnhofs-Schächte leiten? In der Logik des Dreischritts Terror- Angst-Imagination lag Dick Cheneys Ausruf, als er am 11. September 2001 im Bunker des Weißen Hauses im Fernsehen sah, wie die Türme des World Trade Centers in sich zusammenfielen. „So schrecklich das sein mag“, sagte der amerikanische Vizepräsident, „aber wenn diese Typen Massenvernichtungswaffen gehabt hätten, wäre alles viel, viel schlimmer.“

Amerika, zwölf Jahre später. Bei Bombenexplosionen in Boston, deren Hintergründe noch unklar sind, werden drei Menschen getötet und mehr als 180 zum Teil schwer verletzt. Es ist der erste Terroranschlag in den USA seit Nine-Eleven. Wenige Stunden später wird der Sicherheitsexperte Bruce Schneier von der „Washington Post“ befragt. „Terrorismus ist ein Verbrechen gegen den Kopf“, sagt er. Die Botschaft der Attentäter laute: Niemand dürfe sich sicher fühlen, die Regierung könne keinen mehr beschützen. Das beste Mittel dagegen sei, sich nicht einschüchtern zu lassen. „Wenn du Angst bekommst, haben sie gewonnen. Wenn du dich weigerst, Angst zu haben, verlieren sie.“ Überdies seien andere Ereignisse viel gefährlicher – Verkehrsunfälle etwa oder die globale Klimaerwärmung.

Zwei Terrorakte, zwei verschiedene Zeiten, zwei gegensätzliche Reaktionen. Bei dem einen (Cheney) setzt das Kopfkino ein, der andere (Schneier) stellt es aus. Was ist nun richtig, was rational? Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Kaum eine Debatte wird so stark von aktuellen Anlässen geprägt wie die über das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit. Ob Videoüberwachung öffentlicher Räume, integrierte Antiterrordatei, genetischer Fingerabdruck, Lauschangriff oder Vorratsdatenspeicherung: Wem sich die Schreckensbilder ins Gedächtnis gebrannt haben, redet darüber anders als der, der von ihnen abstrahiert.

Sicherheit ist die Voraussetzung für Freiheit, rufen die einen. Eine Gesellschaft, die überwacht und kontrolliert wird, ist nicht mehr frei, entgegnen die anderen. Weil beide Seiten recht haben, scheitert die Verständigung oft, was freilich die Vehemenz der Auseinandersetzung nur befördert. Die Übergefühligen bezichtigen die Untergefühligen der Kaltherzigkeit. Die kontern mit dem Vorwurf der Panikmache. Vonnöten ist daher verbale Abrüstung. Die Sicherheits-Fraktion sollte zugeben, dass viele ihrer Maßnahmen sowohl praktischer Art sind als auch psychologischer. Die Freiheits-Fraktion sollte einsehen, dass kollektive Bedrohungsgefühle durchaus real und daher ein politischer Faktor sind, den man nicht einfach wegdisputieren kann.

Sicherheit lässt sich auch definieren als Freiheit von Angst. Insofern stehen sich in der Debatte nicht ein starker Staat und ein freies Individuum gegenüber, sondern verschiedene Freiheiten. Und verschiedene Ängste – die vorm Terrorismus versus die vorm Überwachungsstaat. Jener Purismus jedenfalls, mit dem oft argumentiert wird, ist verlogen. Wer angeblich die Freiheit gegen die Sicherheit verteidigt, hat bei anderen Themen meist wenig Skrupel, nach einem starken Staat zu rufen – Umwelt, Bildung, Finanzwirtschaft, Straßenverkehr. Und wer zugunsten der Sicherheit bereit ist, Freiheitsrechte preiszugeben, geriert sich bei diesen anderen Themen gern selbst als Kämpfer für die Freiheit des Individuums vor Interventionen des Staates.

Durch das Versprechen, die Bürger zu schützen, legitimiert sich laut Thomas Hobbes politische Herrschaft. Versage der Souverän auf diesem Gebiet, könne er keinen Gehorsam beanspruchen, der Bürger dürfe Widerstand leisten. Terroristen bedrohen die Balance aus Machtausübung und Schutzgewährung. Also Politiker: Kopfkino an! Doch zum Glück ist der Staat immer nur so schwach, wie der Bürger glaubt, dass er es sei. Die Freiheit von der Angst ist eben auch ein innerer Wert. Deshalb, Bürger: Kopfkino aus!

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