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Hatice Akyün ist Autorin und freie Journalistin. Sie ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.

© promo

Hatice Akyün über Angelina Jolie: Brüste im Kopf

Nach Angelina Jolies vorsorglicher Brust-Operation zeigt sich: Der Wert einer Frau soll danach bemessen werden, was mit ihren Brüsten ist. Männer sind anscheinend so sehr darauf fixiert, was Frauen vor sich tragen, dass sie alles andere vergessen.

Dieser Weltstar, diese Ikone von Frau hat sich die Brüste entfernen lassen. Wow, was für eine Vorstellung: Lara Croft ist nun flach wie ein Brett. Wenn man manche Schlagzeilen der vergangenen Woche las, dann konnte man auf diesen Gedanken kommen.

Vor ein paar Jahren sah ich „Mr. & Mrs. Smith“, weiß Gott kein Kunstfilm, aber die Präsenz und die Körperlichkeit, die da von Angelina Jolie an den Tag gelegt wurde, hat mich umgehauen. Und dieses Prachtexemplar einer Industrie, die Projektionsflächen erschafft, die prägend auf andere wirkt, hat nun keinen Busen mehr.

Jetzt nehmen wir uns für einen Moment alle mal ein kleines Stück zurück. Jolie wurde das möglicherweise anfällige Gewebe entfernt, wohl komplett. Das bedeutet: Alles, was in ihren Brüsten war, ist weg. Die Hülle der Begehrlichkeit ist noch da. Da ich davon ausgehe, dass Familie Jolie nicht auf Barack Obamas Gesundheitsreform angewiesen ist, ist zu vermuten, dass bei ihr alles wieder nett anzuschauen ist.

Nun hat sie uns teilhaben lassen an ihrem Schicksal. Die Mediziner der Republik erklärten uns, dass ihr Entschluss sinnvoll gewesen sei. Und viele Männer äußerten sich zur Wichtigkeit von weiblichen Brüsten. Die Wahrheit an der Geschichte ist leider viel profaner. Es ist die Angst vor dem Brustkrebs und die Furcht, durch die Krankheit vorzeitig aus dem Leben gerissen zu werden. Hinter alldem kommt aber auch zum Vorschein, wie Frauen aussehen sollten, um zu gefallen. Und dass eine Frau nur mit den zwei Dingern komplett ist. Die wiederum müssen nachfrageorientiert dem Gefallen der Zielgruppe an Größe, Konsistenz und Erscheinungsform entsprechen.

Meine Integration in den Arbeitsmarkt fand übrigens ohne jedwede Diskriminierung durch meine Herkunft statt. Und im Nachhinein betrachtet war das nicht Ausdruck kultureller Fortentwicklung, sondern lediglich der Tatsache geschuldet, dass meine eigene Körbchengröße offenbar so den Normen entsprach, dass Männer glatt über meine anatolischen Gesichtszüge hinwegsehen konnten. Männer sind anscheinend so sehr darauf fixiert, was Frauen vor sich tragen, dass sie die Persönlichkeit nur erkunden, wenn da nichts wackelt. Ansonsten reicht ihnen die Visitenkarte der hervorstechenden Merkmale.

Mir kommt der bittere Gedanke, dass nicht die mögliche Krankheit, sondern das Abbild dessen, wie man auszusehen hat, im Vordergrund der Debatte steht. Wie absurd, dass der Wert einer Frau danach bemessen werden soll, was mit ihren Brüsten ist. Vielleicht hilft Jolie mit ihrer Geschichte dem einen oder anderen, sich von seiner Fixierung zu lösen. Frauen sind nicht unschuldig an diesem Bild, weil es vielen von uns megapeinlich ist, wenn unsere Brüste zu klein, zu schlaff, zu groß oder wie auch immer geartet sind.

Dort, wo Liebe ist, gibt es keine Hässlichkeit. Oder wie mein Vater sagen würde: „Yüzü güzel olani degil huyu güzel olani sev“ – liebe nicht denjenigen mit schönem Gesicht, sondern denjenigen mit einem schönen Geist.

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