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Meinung: Bundeswehr-Gelöbnis: Mit Sicherheit integriert

Angelika Beer steht nicht im Verdacht, eine Vorliebe für die Bundeswehr zu haben. Aber die grüne Verteidigungspolitikerin rief vor dem Gelöbnis die Gegner des Zeremoniells dazu auf, ausschließlich friedlich zu demonstrieren.

Angelika Beer steht nicht im Verdacht, eine Vorliebe für die Bundeswehr zu haben. Aber die grüne Verteidigungspolitikerin rief vor dem Gelöbnis die Gegner des Zeremoniells dazu auf, ausschließlich friedlich zu demonstrieren. Sie begründete das mit einem Hinweis, der auch von Rudolf Scharping hätte stammen können: Gewalttätige Protestierer sollten sich gut überlegen, auf welche Seite sie sich stellen. Diesmal war der 20. Juli ein Tag, der dem Schwur der jungen Rekruten den Stempel "Auf dem Weg zur Normalität" aufdrückt. Er hat - trotz der Absperrungen - bekräftigt: Die Bundeswehr ist untrennbarer Teil unserer Gesellschaft.

Das mag den einen oder anderen stören und ärgern. Gewaltfreie Proteste gegen diese Auffassung sind legitim. An der Tatsache ändern sie dennoch nichts. Wäre es anders - Paul Spiegel hätte die Einladung, bei dem Gelöbnis die Rede zu halten, mit Sicherheit abgelehnt. Hat der Präsident des Zentralrates der Juden aber nicht. Im Gegenteil. Als der vor einem halben Jahr gefragt wurde, gab er eine spontane Zusage. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Dies war das erste Mal, dass der höchste Repräsentant des deutschen Judentums bei einem Gelöbnis der deutschen Streitkräfte spricht.

Die Einladung war ein kluger Schachzug des Verteidigungsministers. Wenn einer wie Paul Spiegel spricht, gebietet es der Respekt vor der Person, seinem Amt und vor dem, was er sagt, auf Störungen jeder Art während seiner Ansprache zu verzichten. Dennoch war der Zentralratschef alles andere als ein williges Feigenblatt. Ihm gelang der Balanceakt, auf den es bei Diskussionen über Deutsche in Uniform ankommt. Spiegel lobte die heutige Bundeswehr als Bestandteil der rechtsstaatlichen Demokratie. Er sprach aber auch all das kritisch an, was Gelöbnis-Gegnern sauer aufstößt: Militarismus, Verbrechen der Wehrmacht während des Weltkrieges, ihre Beteiligung am Holocaust, aktuelle rechtsextremistische Vorfälle.

Das wirkte sehr glaubwürdig. Umso mehr, als der nach dem Krieg nach Deutschland zurückgekehrte Jude Paul Spiegel damals, als die Bundeswehr gegründet wurde, den Gedanken einer neuen deutschen Armee abgelehnt hatte. Doch die Jahrzehnte seither haben ihm gezeigt, dass die Bundeswehr nicht in der Tradition der Wehrmacht steht. Ja, Paul Spiegel, deutscher Bürger jüdischen Glaubens, kann sich mittlerweile sogar vorstellen, dass deutsche Soldaten eines Tages helfen, Frieden im Nahen Osten zu sichern - nicht heute oder morgen, aber vielleicht in 20 Jahren. Diese Einschätzung sollte Gelöbnis-Gegner nicht unbeeindruckt lassen.

Auch bei den jungen Rekruten werden Spiegels Worte, wie das ganze Ereignis im Gedenken an den 20. Juli, Spuren hinterlassen. Nicht sofort, aber in ein paar Tagen. Zunächst werden die Sätze an den jungen Leuten wohl nur vorbeigerauscht sein. Galt es doch, möglichst würdevoll während dieser Zeremonie zu stehen und zu schauen. Erst später wird ihnen bewusst werden, dass sie bei einem besonderen Ereignis dabei waren.

Vielleicht war das diesjährige Gelöbnis sogar in mancher Hinsicht ein Wendepunkt. In einem Jahr könnten deutsche Soldaten schon seit Monaten Bestandteil einer internationalen Friedenstruppe in Mazedonien sein. Wahrscheinlich machen sie ihre Sache gut. Es ist auch denkbar - ja, zu hoffen -, dass die Vereidigung der Rekruten am 20. Juli 2002 ohne größere Störungen über die Bühne geht, dass diese öffentliche Zeremonie nicht hermetisch abgeriegelt werden muss und dass dienigen, denen all das nicht passt, friedlich demonstrieren können, ohne verunglimpft zu werden. Dann wird Deutschland wieder ein Stück weiter sein auf dem Weg in die Normalität.

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