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Christliche Kirchen: Von Käßmann zu Mixa

Die christlichen Kirchen in Deutschland sind in der Krise. Doch führt weder ein direkter noch ein indirekter Weg vom Wort Gottes zum übermäßigen Alkoholkonsum oder zum Prügeln von Kindern. Trotz der Skandale bleibt das Wesen der christlichen Lehre intakt.

War’s das jetzt? In beiden großen christlichen Glaubensgemeinschaften, Katholizismus und Protestantismus, sind in Deutschland innerhalb weniger Wochen zwei hochrangige Würdenträger zurückgetreten. Die Gründe dafür waren sehr verschieden und auch die Art ihres Amtsverzichts. Doch sowohl Margot Käßmann als auch Walter Mixa haben in ihren Kirchen tiefe Erschütterungen hinterlassen. Das Beziehungsgeflecht zwischen Autorität und geistlichem Gehorsam haben sie poröser werden lassen, das Vertrauen in die Institution verletzt.

Gleichzeitig hat dieses doppelte Bischofs-Schicksal das Bewusstsein dafür geschärft, dass Fehler in solch exponierten Ämtern Konsequenzen haben. Reue und Buße statt Vorbild und Ermahnung: Das deutsche Christentum ist moralisch in die Defensive geraten.

Noch ist es zu früh, die Dimension dieser Krise abzuschätzen. Der Trend zur Abwanderung aus den Kirchen hält an, er trifft die Katholische Kirche derzeit härter als die evangelische. Eine Hoffnung, die sich an das Pontifikat von Papst Benedikt XVI. geknüpft hatten, den Prozess des Abdriftens Europas in die Säkularisierung zu bremsen, wird sich kaum erfüllen.

Wie dramatisch ist die Lage? Global gesehen bildet Europa in Glaubensdingen die Ausnahme, die Entwicklung auf dem alten Kontinent fällt kaum ins Gewicht. Konstant verzeichnen die vier größten Religionen – Christentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus – ein stetiges Wachstum ihrer Mitglieder. Die Zahl der Christen steigt besonders stark in Afrika und Asien. Und während nur ein Viertel der Deutschen sagt, die Religion sei für sie wichtig, teilen diese Auffassung 57 Prozent der Amerikaner und 98 Prozent der Senegalesen.

Das Wesen der christlichen Lehre bleibt intakt

Auf seltsame Weise nun entsteht in der Krise des deutschen Christentums auch ein verbindendes Element. Selten zuvor hatten Katholiken und Protestanten einen triftigeren Anlass zur Demut – im Verhältnis zueinander wie gegenüber der nichtchristlichen Umwelt. Und selten zuvor fühlten sich die Restgläubigen von ihren Autoritäten so allein gelassen wie heute. In der Defensive könnte die Entmoralisierung, Entpolitisierung und Entdogmatisierung des Christentums einhergehen mit einer Respiritualisierung von gelebtem Glauben.

Das wäre der Weg des kleinsten Risikos, Ausdruck einer wohl unvermeidbaren Phase neuer Bescheidenheit. Freilich muss diese Bescheidenheit nicht von Dauer sein. Schließlich bleibt das Wesen der christlichen Lehre intakt. Die Praxis der Witwenverbrennung wird von hinduistischen Gelehrten begründet, der militante Dschihad von islamischen Gelehrten. Doch kein Christ hat als solcher je Kindesmissbrauch gerechtfertigt.

Weder ein direkter noch ein indirekter Weg führt vom Wort Gottes zum übermäßigen Alkoholkonsum oder zum Prügeln von Kindern. Die Institutionen sind geschwächt, die Autorität der kirchlichen Repräsentanz hat gelitten, aber die christliche Lehre ist nicht beschädigt. Auch in der Defensive muss der Rücken sich nicht krümmen, kann der Gang aufrecht bleiben.

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