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Der Schulalltag wird zum Martyrium.

© dpa

Bedrohte Schulreform: Das fliehende Klassenzimmer

Wenn die Schulreform scheitert, dann nicht an der pädagogischen Idee, sondern an der Wirklichkeit. Wer möchte deutschen Familien verwehren, zum Wohl ihrer Kinder Schulen zu suchen, an denen sie nicht täglich einen Spießrutenlauf erleiden müssen? Ein Kommentar.

Es hat lange gedauert, bis über Deutschenfeindlichkeit geredet wurde – und gerade engagierten Lehrern und Rektoren fällt es besonders schwer. Unter dem Schweigen leiden müssen Kinder und Jugendliche, die in der Schule gemobbt werden, als „Kartoffel“ beschimpft oder verprügelt werden: Weil sie eine verhasste Minderheit sind, wird ihr Schulalltag zum Martyrium.

Viel Zeit bleibt nicht, auf die alarmierenden Signale zu reagieren. Erstes Opfer könnte die gerade erst mit großer Erwartung gestartete Sekundarschule werden, die allen Kindern, den deutschstämmigen und denen aus Migrantenfamilien, gemeinsam Chancen eröffnen soll. Endlich ist Schluss mit der Hauptschule, der pädagogischen Sackgasse. Jetzt ist auch in der Sekundarschule für jeden der Weg zum Abitur frei – und zu einer wirklichen Integration. Doch Berlin ist dabei, diesen Aufbruch zu vertun. Es gibt ein neues Schild am Schultor, aber in den Problemkiezen ist man bereits wieder auf dem Weg zurück zur alten Restschule.

Wenn die Schulreform zu scheitern droht, dann nicht an der pädagogischen Idee, sondern an der Wirklichkeit. Die Schulen, an denen Schüler aus Migrantenfamilien die Mehrheitsgesellschaft sind, dürfen nicht den Verdacht aufkommen lassen, sie wollten das Problem unter den Tisch kehren. Wer möchte deutschen Familien verwehren, zum Wohl ihrer Kinder sich Schulen zu suchen, an denen sie nicht täglich einen Spießrutenlauf erleiden müssen? Wenn die Abstimmung mit den Füßen erst einmal in Gang gekommen ist, dann nützen das beste Lehrkonzept und die engagiertesten Lehrer nichts mehr. Die Geschichten, die auch jeder Erwachsene erzählen kann, wie er einst getriezt wurde von anderen Schülern, sind nicht zu vergleichen mit dem Ausmaß an Hass, Rassismus und Verachtung, das manche deutsche Kinder heute erleiden müssen. Es macht es nicht besser, dass es sich um ein Unterschichtphänomen handelt und jene Jugendlichen, die mobben, dies aus Frust darüber tun, dass sie benachteiligt und überfordert sind.

Bildungssenator Jürgen Zöllner will den Sekundarschulen Zeit geben, ein attraktives Profil zu entwickeln. Er könnte sich verschätzen, wie viel Zeit er noch hat, die größte Reform der Berliner Schulgeschichte zu retten. Es sieht fast so aus, als sei im Reformgewitter, das die Berliner Schulen seit Jahren in Atem hält, untergegangen, dass es vor allem um die Schüler geht. Schule ist ein soziales System und nicht nur Wissensvermittlung. Das Klassenziel ist auch, tolerantes Miteinander zu erlernen – als Vorbereitung auf ein Leben in einer demokratischen Gesellschaft. Es darf nicht sein, dass das Samenkorn einer Parallelgesellschaft ausgerechnet in jenen Schulen einen Nährboden findet, in denen die Mehrheitsverhältnisse umgekehrt sind.

Helfen kann nur, wenn Lehrer entschieden gegen den Rassismus im Klassenzimmer einschreiten und Bildungsverwaltung und Bezirke sich hinter die ebenfalls gemobbten Lehrkräfte stellen. Vor allem aber sind die Migrantenverbände gefordert, auf die Eltern einzuwirken. Verfestigt sich das Deutschenbashing, könnten sie es als Echo mit einer wachsenden Stigmatisierung zu tun bekommen, die dann unterschiedslos alle Türken und Araber trifft. Der Bezirk Neukölln hat vorgemacht, dass Gewaltvorfälle durch Wachen vor dem Schultor verhindert werden können; nun gilt es, hinterm Tor ebenso wachsam zu sein. Jede Schulreform wird vergebens sein, wenn die Spielregeln der Außenwelt nicht im Klassenzimmer gelten.

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