zum Hauptinhalt

Tibetkrise: Der Dalai Lama sollte ins Kloster gehen

Der Westen belegt im Streit mit China einmal mehr seine Unwissenheit, weil der Dalai Lama von den meisten Tibetern nicht mehr als ihr Sprecher akzeptiert wird. Damit steht der Religionsführer einer Lösung im Weg - nötig wäre ein Neubeginn auf beiden Seiten.

Der Zeitpunkt des gewaltsamen Widerstands der tibetischen Bevölkerung war geschickt gewählt: Gerade als China sich bereit machte, der Welt seine beste Seite zu präsentieren, nutzten Mönche und Teile der tibetischen Bevölkerung in China die Gelegenheit, an ihre Situation zu erinnern. Wer den tibetischen Widerstand gegen die chinesische Art der Modernisierung Tibets verfolgte, wusste, dass es einen politischen Flügel in der tibetischen Bevölkerung gibt, der die gewaltlose Politik des Dalai Lama kritisch sieht, und stattdessen Gewalt predigte. Es war nur eine Frage der Zeit, wann diese politischen Kräfte sich zu erkennen geben würden. Umso mehr erstaunt es, dass die massiven Unruhen der letzten Zeit die chinesische Regierung allem Anschein nach kalt erwischten.

Die Reaktion der chinesischen Führung hätte nicht schlimmer ausfallen können. Brutale Niederschlagung der lokalen Unruhen, Beschimpfung des Dalai Lama, Ausweisung aller Touristen und ausländischen Journalisten aus Tibet, Zensur der Berichterstattung und Manipulation der inländischen Medienberichte. Der ganze Kanon einer repressiven Politik wurde angewandt. Obwohl es gerade in den letzten Jahren vereinzelt Ansätze gegeben hatte, eine feinfühligere Politik gegenüber den Tibetern zu verfolgen, zeigte sich nun, dass dies in der Tat nur isolierte Initiativen waren.

Der Dalai Lama fand sich in einer Situation wieder, die ihn politisch schwer beschädigt hat. Zwar erkennen ihn alle Tibeter noch als ihren religiösen Führer an, aber seine politische Führung ist sichtbar infrage gestellt worden. Den Mönchen und anderen, die in Tibet, Sechuan, Ganzu, Neu-Delhi und anderen Orten sich mutig Gehör verschafften, ging es darum mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln auf ihre kulturelle Entfremdung hinzuweisen. Obwohl der Dalai Lama dieses Thema in seinen öffentlichen Stellungnahmen aufgriff, und vom „kulturellen Völkermord“ sprach, hatte er die politische Initiative verloren. Er wird nun wohl von einer nicht unerheblichen Zahl von Tibetern nicht mehr als ihr Sprecher und Verhandlungsführer akzeptiert werden. Die Frage ist, ob er seine schon mehrfach geäußerte Ankündigung, dass er sich in das Leben eines Mönches zurückziehen werde, nicht tatsächlich wahr machen sollte.

Angesichts dieser Dynamik innerhalb der tibetischen Gesellschaft, erstaunt es, dass in fast allen Äußerungen westlicher Politiker die chinesische Regierung und Parteiführung aufgefordert wird, mit dem Dalai Lama über eine friedliche Lösung des Konflikts zu verhandeln. Man müsste eigentlich annehmen, dass es in den Außenministerien Spezialisten gibt, die eine Condoleezza Rice, einen Frank-Walter Steinmeier oder eine Angela Merkel eines Besseren belehren können. Auch wenn man die chinesische Politik in und um Tibet nur kritisch sehen kann und als verfehlt einschätzen muss, so kann es doch nicht als angemessen erscheinen, Forderungen an die chinesische Regierung zu stellen, die als eine einseitige Parteinahme erscheinen müssen. Der chinesischen Führung ist sicherlich schon seit langem bekannt, dass die politische Autorität des Dalai Lamas bei vielen politischen Kräften der Tibeter erodierte. Wenn man von außen politische Forderungen an die chinesische Seite stellt, so sollte man das Gleiche auch bei den Tibetern tun. Die diskreten Gespräche, die zwischen dem Dalai Lama und der chinesischen Führung seit 2001 geführt worden sind, haben bisher zu keinem Ergebnis geführt. Allein der chinesischen Seite dafür die Verantwortung zu geben, ist kurzsichtig.

Aussicht auf eine friedliche Lösung kann und wird es nur geben, wenn beide Seiten zu einem echten Neubeginn bereit sind. Dazu gehört, dass sowohl auf beiden Seiten neue Verhandlungsführer bestellt werden. Im Umkreis des Dalai Lama gibt es sehr erfahrene Politiker, die für die tibetische Seite auftreten können. Und auch Parteichef Hu Jintao wäre gut beraten, einen neuen Parteisekretär nach Lhasa zu schicken.

Der Westen, der sich aus nicht immer ersichtlichen Gründen in Sachen Tibet so sehr engagiert, sollte auf eine solche Erneuerung pochen, statt Positionen zu beziehen, die vor allem seine Unwissenheit belegen – und die Irritation auf chinesischer, aber vermutlich auch zunehmend auf tibetischer Seite erzeugen.

Die Autorin war von 1998 bis 2003 als Vertreterin des United Nations Development Programme (UNDP) in China.

Ein Kommentar von Kerstin Leitner

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false