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Meinung: Der neue Diepgen heißt Wowereit

Berlin hat gewählt - aber was? Zum ersten Mal seit 1990 gibt es mehr als nur eine Möglichkeit, den Senat zu bilden: Weil die Sozialdemokraten die PDS-Blockade aufgehoben haben; und weil die Liberalen wieder im Abgeordnetenhaus sitzen.

Berlin hat gewählt - aber was? Zum ersten Mal seit 1990 gibt es mehr als nur eine Möglichkeit, den Senat zu bilden: Weil die Sozialdemokraten die PDS-Blockade aufgehoben haben; und weil die Liberalen wieder im Abgeordnetenhaus sitzen. Diesmal heißt es nicht: Berlin hat gewählt - die große Koalition macht weiter. Nein, wenigstens das wird mal anders. Die Aussicht auf eine spannende Zeit der Regierungsbildung und - noch viel mehr - der Regierungszeit selbst entschädigt für einen abschreckend banalen, fantasielosen Wahlkampf. Ob das der Stadt hilft, ist eine ganz andere Frage.

Zum Thema Ergebnisse I: Stimmenanteile und Sitzverteilung im Abgeordnetenhaus Ergebnisse II: Direktmandate im Abgeordnetenhaus Ergebnisse III: Ergebnisse nach Regionen (Abgeordnetenhaus und BVV) WahlStreet.de: Die Bilanz Zwei Ergebnisse ragen heraus. Erstens: Die Wähler haben den parlamentarischen Bruch der Großen Koalition jetzt mit ihren Stimmen legitimiert, nachträglich. Wäre es anders, dann hätte die CDU, die im Wahlkampf als einzige Partei für eine Fortsetzung des schwarz-roten Bündnisses stand, viel mehr Stimmen bekommen müssen. Zweitens: Der Wahlsieger heißt Klaus Wowereit. Sein Plan, Diepgen zu stürzen, um Diepgen zu werden, ist aufgegangen. Die SPD blieb im Windschatten ihres Regierenden Bürgermeisters, der keinem weh tat. So konnte sie die CDU überholen. Das ist nicht zuletzt ein Erfolg des Parteivorsitzenden Peter Strieder. Er bewahrte die Ruhe - seine und die der Genossen. Für ein wirklich spektakuläres Ergebnis, das möglich gewesen wäre, hat die SPD aber zum Schluss nicht genug gekämpft. Wowereit war einerseits zu siegessicher, hat sich andererseits zu sehr versteckt. So konnte er nicht noch mehr Wähler mobilisieren. Doch er hat bekommen, was er wollte: verschiedene Optionen.

Die anderen müssen um einen Platz an Wowereits Seite buhlen: Gregor Gysi, der es sich anfangs einfacher dachte. Günter Rexrodt, dem die Schwäche der CDU ein Geschenk war. Sibyll Klotz, die weder gewann, noch verlor. Und Frank Steffel? Er führte die CDU in eine böse Niederlage und in die Opposition. Aber eine Koalition mit der CDU hatte Wowereit ohnehin ausgeschlossen. Als einziges der möglichen Bündnisse.

Welche Koalition haben die Wähler gewollt? Einen gemeinsamen Wahlwillen gibt es nicht, doch Signale sind zu erkennen. Schwarz-Rot jedenfalls soll es nicht werden, Schwarz-Grün schon gar nicht. Die PDS kann sich freuen, aber nicht zu sehr: Mit Gysi konnte sie noch einmal zulegen. Aber die SPD hat nicht genug triumphiert, um einen Wunsch nach Rot-Rot klar zu erkennen. Die FDP ist auferstanden, fühlt sich stark und zeigt Regierungswillen - mit der SPD. Aber selbst mit den Grünen reichte das nur knapp für eine Mehrheit. Was nun?

Wenn die Wähler nicht helfen, dann hilft die politische Taktik. Und die scheint zunächst gegen Gysi zu sprechen. Die PDS ist zu stark geworden für Rot-Rot, die SPD nicht stark genug. Warum sollte sich Wowereit eine neue Diskussion über Macht und Moral aufhalsen? Warum sollte er der Wirtschaft einen guten Grund für ihre Zurückhaltung geben? Warum sollte er Gerhard Schröder ein Jahr vor der Bundestagswahl mit einer Anti-Kriegs- und Anti-Globalisierungspartei schwer in Verlegenheit bringen? Warum, wenn es auch anders geht?

Der Preis, den Wowereit zahlen müsste, ist hoch. Was es eben so kostet, eine komplizierte Dreiecksbeziehung bei Laune zu halten. Mit FDP und Grünen wären am Senat ausgerechnet die beiden Parteien beteiligt, die politisch am weitesten voneinander entfernt sind. Verträgt Berlin in der Krise ein hochsensibles, labiles, wenig berechenbares Bündnis mit knapper Mehrheit? Hat die Stadt das verdient, nach allem, was war? Und kann sie sich das leisten, bei allem, was noch kommt? Sie kann, wenn sie muss - aber nur so: Wie der Haushalt saniert und die Wirtschaft zum Geldausgeben angeregt wird, was Berlin noch verkauft, wie der neue Flughafen gebaut und ob eine neue Autobahn quer durch die Stadt gebraucht wird - darüber muss mindestens Einigkeit herrschen.

Zunächst aber muss Wowereit Einigkeit in seiner eigenen Partei herstellen. Und das wird schwer genug. Auf Landesebene werden jene Funktionäre Druck machen, die für eine Koalition mit der PDS sind - auch, weil diese Mehrheit sicherer sei. Klaus Wowereit wird sich noch gerne erinnern an die Zeit, in der alles so gut war.

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