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Meinung: Der Rudi-Dutschke-Weg zur Wiedervereinigung

Anmerkungen zum möglichen Namensgeber einer Straße in Berlin Von Tilman Fichter

In den 70er Jahren breitete sich in großen Teilen der westdeutschen Friedensbewegungen eine Position der nationalen Enthaltsamkeit aus. Wer – wie Rudi Dutschke, nach dem nun möglicherweise eine Straße in Berlin benannt wird – damals die Frage nach der Zukunft der deutschen Nation stellte, zog in und jenseits der westdeutschen Linken sehr schnell den Vorwurf auf sich, er propagiere „nationalistisches Opium“.

Als im Juli 1977 Dutschke dafür plädierte, dass die Linke in beiden deutschen Teilgesellschaften ihre Angelegenheiten selbst und gemeinsam in die Hände nehmen solle, reagierte ein Großteil der westdeutschen Politik beziehungsweise der veröffentlichten Meinung verschreckt. Dutschke schrieb damals aus Aarhus, seinem dänischen Exil: „Amerikanisierung und Russifizierung sind fortgeschritten, aber nicht die Wiedergewinnung eines realen Geschichtsbewusstseins der Deutschen …“

Rudi Dutschke wusste, worüber er sprach: Geboren 1940 in Luckenwalde, aufgewachsen in der DDR, hatte er dort als religiöser Sozialist den Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee verweigert und aktiv in der protestantischen „Jungen Gemeinde“ mitgearbeitet. Kurz vor dem Bau der Mauer floh er nach Westberlin und studierte an der FU Soziologie und Philosophie. Im Januar 1965 trat er in den Berliner Landesverband des SDS ein. Dort gehörte er schon bald zu den informellen Vordenkern der antiautoritären Revolte.

Er verstand sich zeitlebens als linker Antistalinist, gesamtdeutscher Patriot und internationalistischer Sozialist. Die Spaltung Deutschlands bedeutete für ihn ein Hindernis im Emanzipationskampf hüben wie drüben: „Es ist für mich ohne Zweifel: in der DDR ist alles real, bloß nicht der Sozialismus; in der BRD ist alles real, bloß nicht ,Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit’, bloß keine reale Demokratie.“

Rudi Dutschke starb am 24. Dezember 1979 in Aarhus an den Spätfolgen des Bachmann-Attentats im April 1968. Hätte er noch die Herausbildung der Kritikbewegung am real-bürokratischen Kommunismus in der DDR erlebt, hätte er in den Reihen der dortigen Dissidentenkultur sicher eine neue politische Heimat gefunden. Denn Rudi Dutschke hat – ganz im Gegensatz zu einem Großteil der politischen „Enkel“ von Konrad Adenauer und Willy Brandt – die Teilung Deutschlands (als Strafe für die Verbrechen der Nationalsozialisten) nie akzeptiert. Dutschke hat deshalb auch immer wieder versucht, die soziale, nationale und internationale Frage so miteinander zu verkoppeln, dass die „beiden deutschen Fragment-Staaten“ eines Tages wieder aufeinander zugehen könnten. Eine gesamtdeutsche Demokratiebewegung sollte dann gemeinsam die gesellschaftlichen Ursachen des Nationalsozialismus ergründen und überwinden.

Mit anderen Worten: Dutschke wäre 1989/1990 auf den Zusammenbruch des Spätstalinismus beziehungsweise die europäische Zeitwende vorbereitet gewesen. Seine Tragik ist, dass er bereits Ende der 70er Jahre Opfer eines Attentats wurde und deshalb nicht mehr politisch eingreifen konnte.

Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass wir damals die inneren Widersprüche des „bestehenden Systems“ – so Dutschke 1968 – bewusst zum Tanzen bringen wollten. Ein Hauptziel des SDS war damals die politische Unterstützung des nationalkommunistischen Befreiungskampfes in Vietnam. Wir wollten damals eine Beteiligung der Bundeswehr am amerikanischen Krieg in Vietnam unbedingt verhindern. Dieser Versuch war übrigens nicht ganz erfolglos.

Der Autor ist Politologe und arbeitete von 1987 bis 2001 als Referent für politische Bildung beim Parteivorstand der SPD.

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