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Lichtershow zum Élysée-Jubiläum auf dem Französischen Dom in Berlin: Frankreich und Deutschland sind der Motor der EU.

© dpa

Deutsch-französische Beziehungen: Goldene Hochzeit in Katerstimmung

Gestern feierten Francois Hollande und Angela Merkel in Berlin gemeinsam den 50. Jahrestag des Élysée-Vertrages. Dabei stecken das deutsch-französische Verhältniss in einer Schieflage. Und die schadet allen europäischen Staaten.

Es läuft nicht gut zwischen Deutschland und Frankreich. Beide Länder liegen in zahlreichen europäischen Zukunftsfragen weit auseinander. Das ist gerade jetzt, wo das europäische Projekt an einem Scheideweg steht, besorgniserregend. Zweifellos ist die Bilanz der Beziehungen zum fünfzigjährigen Bestehen des Elysée-Vertrags positiv: Kein anderes Staatenpaar ist so eng verbandelt wie Deutschland und Frankreich. Berlin und Paris haben weite Teile des europäischen Einigungsprozesses vorangetrieben und konnten auch bilateral immer wieder Kompromisse finden.

Heute jedoch bringt der anhaltende Fokus der deutsch-französischen Zusammenarbeit auf Wirtschafts- und Haushaltsfragen – als Folge der EU-Verschuldungskrise – das Verhältnis der beiden Staaten in eine Schieflage. Er beeinträchtigt Deutschland und Frankreich in ihrer Motorfunktion, die Europa dringend benötigt. Hinzu kommt die wirtschaftliche Schwäche Frankreichs, die dazu führt, dass sich beide Länder nicht länger auf Augenhöhe begegnen und sich die Gewichte in den deutsch-französischen Beziehungen dauerhaft verändern könnten. Ende November 2012 hat eine zweite Ratingagentur die Bonität Frankreichs binnen eines Jahres herabgestuft und im gleichen Zug den europäischen Rettungsschirmen ESM und EFSF ihre Spitzenbonität entzogen.

Seit den Anfängen der europäischen Integration sind beide Länder mit unterschiedlichen Machtattributen ausgestattet: Deutschland über seine starke, exportorientierte Wirtschaft, Frankreich über seine ambitionierte Außenpolitik. Das Ausklammern außen- und sicherheitspolitischer Themen aus der gegenwärtigen europäischen Diskussion relativiert den Führungsanspruch Frankreichs in der EU – und stellt seine strukturelle wirtschaftliche Schwäche stärker denn je zur Schau. Der Vergleich mit Deutschland, das sein Wirtschaftsmodell durch die Krise bestätigt sieht, ist für Frankreich demütigend. Die Suche von Präsident François Hollande nach neuen Bündnissen seit seiner Wahl im Mai 2012 lässt sich zum großen Teil aus diesem Unmut erklären.

Obgleich Berlin gegenwärtig besser dasteht als Paris, kann diese Entwicklung nicht im Interesse Deutschlands sein. Für die Bewältigung der Schuldenkrise, aber auch angesichts vieler weiterer Zukunftsfragen braucht Berlin einen zuverlässigen und selbstbewussten Partner an seiner Seite. Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist weiterhin alternativlos. Sicher muss Frankreich seine Wirtschaftsprobleme in den Griff bekommen. Doch es wird auf Unterstützung angewiesen sein, auch aus Deutschland. Hinter Hollandes Zauberwort der "solidarischen Integration" stecken Vorschläge, die einen Gedankenaustausch wert sind, etwa die teilweise Zusammenlegung der Arbeitslosenversicherung.

Um Frankreich den Stellenwert eines gleichwertigen Partners zurückzugeben, ist auch die Bereitschaft Deutschlands, die bilaterale Zusammenarbeit wieder auf mehr Politikfelder auszuweiten, entscheidend. Dazu könnte eine intensivere Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik beitragen.

Berlin muss deutlich machen, dass es ihm ernst ist mit der grenzüberschreitenden Partnerschaft. Dies kann nur gelingen, wenn es weitreichende Initiativen für den Europäischen Rat im Dezember 2013 formuliert. Berlin und Paris könnten die Einführung eines Europäischen Verteidigungssemesters vorschlagen. Analog zum Europäischen Semester für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik könnte dieses Instrument die Haushaltsdisziplin im Verteidigungsbereich sicherstellen. Zudem könnte es frühzeitig Überschneidungen der Mitgliedstaaten identifizieren und diese sinnvoll zusammenführen. Ein weiterer Meilenstein könnte ein gemeinsamer Vorschlag zur Ernennung eines EU-Kommissars für Verteidigungspolitik sein.

Zudem sollten Berlin und Paris konkrete Initiativen zur "Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit" in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik formulieren. Sie sollten Schritte bestimmen, die den Weg zu einer Europäischen Armee öffnen und damit der zuletzt von Bundeskanzlerin Angela Merkel formulierten Vision sicherheits- und verteidigungspolitischer Integration Glaubwürdigkeit verleihen.

Die Machtposition, die Deutschland innerhalb der EU durch die Verschuldungskrise gewonnen hat, kann schnell unbequem werden – auch für Deutschland selbst. Dass die Deutschen bei ihren europäischen Partnern Überzeugungsarbeit leisten wollen, ist legitim und wünschenswert. Dabei dürfen sie aber nicht vernachlässigen, ihnen auch zuzuhören und sie einzubeziehen. Dies gilt insbesondere für den alten Partner Frankreich. Zu einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe gehören die Bereitschaft zu Kompromissen und auch ein gewisses Maß an Demut.

Dr. Claire Demesmay leitet das Frankreich-Programm im Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Dr. Ronja Kempin leitet die Forschungsgruppe EU-Außenbeziehungen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Der Artikel erschien ursprünglich in einer Langversion in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Internationale Politik. Die vorliegende Kurzversion erscheint auf der SWP-Website in der Rubrik "Kurz gesagt".

Claire Demesmay, Ronja Kempin

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