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Meinung: Deutsche Dekadenz

Schwarz-Gelb predigt Leistung, schützt aber anstrengungslosen Wohlstand. Die Erbschaftsteuer etwa ist immer noch viel zu niedrig.

Von Warren Buffett, einst einer der reichsten Menschen der Welt, bevor er den größten Teil seines Vermögens an die Gates-Stiftung spendete, ist dieser Satz überliefert: „Es gibt keinen Grund, warum künftige Generationen kleiner Buffetts das Land beherrschen sollen, nur weil sie aus der richtigen Gebärmutter kommen.“ Die Idee dahinter: Nur wer etwas leistet, soll Erfolg haben. Buffetts Leistungsgedanke ist an ein Tun geknüpft, eine Wertschöpfung. Wer dagegen ein Erbe antritt, widerspricht diesem Prinzip. Er wird reich aufgrund von Familie, Sippe, Dynastie. Wer erbt, zieht einen Vorteil aus Fremdarbeit.

In den USA ist der individuelle Leistungsgedanke weit verbreitet. Wer das Ideal propagiert, dass man es mit Mut, Fleiß, Talent und Ehrgeiz vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen kann, verachtet die Gnade der richtigen Geburt. Daher ist die Erbschaftsteuer in den USA viel höher als etwa in Deutschland.

Leistung müsse sich lohnen, ruft seit Wochen Guido Westerwelle und meint in erster Linie den Niedriglohnsektor. Wir schreiben das Jahr 2010, es ist geprägt von den Folgen einer dramatischen Finanz- und Wirtschaftskrise, einer Rekordverschuldung, maroden Kommunalhaushalten, Pflegenotstand, überbordenden Sozialausgaben, ungenügenden Bildungsinvestitionen. Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Weder durch Sparen noch durch Wachstum lassen sich die Defizite auch nur annähernd ausgleichen. Gleichzeitig wurde bereits unter Rot-Grün die Einkommensteuer radikal gesenkt (und seit 2007 wieder ein bisschen angehoben), Unternehmer genießen zahlreiche steuerliche Erleichterungen, für Vermögensbestände (Erbschafts-, Schenkungs- und Vermögenssteuer zusammen) hat Deutschland im internationalen Vergleich immer noch eine der niedrigsten Besteuerungsquoten.

Auch die Erbschaftsteuer – von Fachleuten „Dummensteuer“ genannt, weil es Dutzende Möglichkeiten gibt, sie drastisch zu verringern – ist Anfang 2009 minimal gestiegen. Aber sie ist immer noch zu niedrig. Die privaten Haushalte in Deutschland haben ein Gesamtvermögen von brutto fast elf Billionen Euro aufgebaut. Von 1995 bis 2008 hat sich das private Vermögen um rund 70 Prozent erhöht. Mitte der neunziger Jahre wurden rund 105 Milliarden Euro jährlich vererbt, im Jahr 2020 werden es mehr als 360 Milliarden sein.

Allerdings werden durch Erbschaften die sozialen und regionalen Unterschiede verschärft. Platt gesagt: Die wenigen Reichen, die schon heute das Gros des Privatvermögens kontrollieren, werden noch reicher. Und: Hohe Erbschaften werden vor allem in den alten Bundesländern übertragen. Das durchschnittliche Erbvolumen in Hamburg etwa ist mehr als viermal so hoch wie das in Mecklenburg-Vorpommern.

Wer fordert, dass sich Leistung lohnt, muss Jahreseinkommen in Millionenhöhe, Spekulationsgewinne und Erbschaften viel höher besteuern als jetzt. Jeder kluge Ackermann spürt, dass er sein Vermögen nicht allein dem Schweiße seines Angesichts zu verdanken hat, sondern auch Zufall, Glück und den Irrsinnigkeiten des Marktes. Wer Leistung predigt, darf anstrengungslosen Wohlstand weder beschönigen noch durch zu niedrige Steuern schützen. So lange die bürgerlich-liberale Koalition das nicht beherzigt, mindert sie das Wohl dieses Landes.

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