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Meinung: Die Aktionismusfalle

Amerika zweifelt: Hat der Krieg uns sicherer gemacht

Eine Ideologie gerät ins Wanken. Richard Clarke, der ehemalige oberste Terror-Bekämpfer im Weißen Haus, ist in den USA berühmt geworden. Seine pointierte, bitterböse Abrechnung mit der Bush-Regierung beherrscht die Schlagzeilen. Mehr als 90 Prozent der Amerikaner haben davon gehört. Knapp 500000 Exemplare seines Buchs „Against All Enemies“ sind im Handel – und vielerorts vergriffen. CNN übertrug am Mittwoch Clarks Auftritt vor der Untersuchungskommission des Kongresses; sie soll die Vorgeschichte der Anschläge vom 11. September 2001 erhellen. Abends wiederholte Clarke bei Larry King, dem Talkmaster mit den Hosenträgern, seine Vorwürfe: Für die Bush-Regierung war der Terrorismus vor Nine-Eleven kein dringliches Thema, danach reagierte sie falsch: mit dem (längst gewollten) Irakkrieg. Der habe die Terror-Gefahr vergrößert. Statt konzentriert Al Qaida zu jagen, verpulverte Amerika seine militärischen und finanziellen Ressourcen in und um Bagdad.

Weder hatte Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen noch arbeitete er mit Al Qaida zusammen. Inzwischen scheint gesichert: Die angeblichen Massenvernichtungswaffen waren ein Vorwand. Der Sturz eines muslimischen Diktators im Herzen der arabischen Welt sollte die Terroristen und ihre Unterstützerstaaten einschüchtern. Das Motto hieß: Schluss mit Appeasement! Wir müssen zeigen, dass wir uns wehren!

Das Wort „Appeasement“ wird im Zusammenhang mit dem Terrorismus oft benutzt. Was hat Al Qaida stark gemacht? Die Hardliner sagen: der Eindruck amerikanischer Schwäche. Hasenfüßig zogen die US-Truppen sich aus dem Libanon und Somalia zurück, nachdem sie dort den Terror am eigenen Leib erfahren hatten. Als 1998 in Kenia und Tansania zwei US-Botschaften in die Luft gesprengt wurden, antwortete Bill Clinton mit ein paar ferngelenkten Raketen.

Wer jemanden „appeased“, will ihn durch Nachsichtigkeit oder Zugeständnisse beschwichtigen. Mit ihrem Appeasement hätten England und Frankreich Hitler beim Münchner Abkommen 1938 erst stark gemacht. Was aber macht Al Qaida stark? Da fängt das Dilemma an. Terroristen wollen die Eskalation, der Gegner soll in seiner Wut überreagieren, was wiederum die eigene Anhängerschaft vergrößert. Kann also auch Krieg Appeasement sein – weil der Westen damit auf die Wünsche der Terroristen eingeht? Nach der Sparten-Wahl hieß es: Falls die neue Regierung ihre Truppen aus dem Irak abziehe, hätte Al Qaida ihr Ziel erreicht. Was aber, wenn Al Qaida bereits mit dem Irakkrieg ihr Ziel erreicht hat?

Die Bush-Regierung hat den Irakkrieg stets als Teil ihres Kampfes gegen den Terrorismus dargestellt. Doch in der arabischen Welt ist Osama bin Laden heute beliebter denn je. Die Bereitschaft und Fähigkeit zu Selbstmordanschlägen wächst. Womöglich reiben sich die Al-Qaida-Chargen, die sich im Schatten des Irakkrieges neu formieren konnten, klammheimlich die Hände.

Bush präsentiert sich im Wahljahr als Kriegspräsident. Dieses Image soll ihm eine zweite Amtszeit bescheren. Auf jedem anderen Feld liegt sein Herausforderer, der Demokrat John Kerry, in den Umfragen vorn. Deshalb treffen Clarks Vorwürfe Bush bis ins Mark. Clarks präzise Erinnerungen aus den Sitzungen der Bush-Regierung beschämen die Protagonisten des Kriegs. Obsessiv, meint Clarke, seien einige in Sachen Irak gewesen. Besonders Rumsfeld und Wolfowitz hätten die „nationale Tragödie ausgenutzt, um ihre Irak-Agenda durchzudrücken“.

Der Diktator ist gestürzt, aber die Terrorgefahr womöglich gestiegen. Krieg als Appeasement – das klingt absurd. Doch wenn Appeasement ist, was den Terroristen nützt, ändert sich das Urteil. Plötzlich geht der Wehrhafte in die Falle. Unter dem festen Vorsatz, Härte zu demonstrieren, damit der Gegner nicht triumphiert, geschieht, was dem Terror in die Hände spielt. Die Aktionismusfalle: In Israel kennt man viele Beispiele. Erfolgreich bombten die palästinensischen Selbstmordattentäter erst Benjamin Netanjahu an die Macht, später Ariel Scharon. Nun wird eine Mauer gebaut, und Hamas-Gründer, Scheich Ahmed Yassin, liquidiert. Womöglich trägt das zur weiteren Radikalisierung der Palästinenser bei. Israels Innenminister Avraham Poraz, kein Weichei, stimmte im Kabinett gegen die Scheich Yassins Tötung. Die Motivation von Hamas werde dadurch bloß angefacht.

Auch Donald Rumsfeld gilt nicht als Taube. Doch schickte er im Oktober 2003 ein internes Memorandum an seine engsten Mitarbeiter, in dem er tiefe Zweifel an der Effizienz des Anti-Terror-Kampfes formulierte. „Uns fehlt der Maßstab, um zu wissen, ob wir den globalen Krieg gegen den Terrorismus gewinnen oder verlieren. Verhaften, töten und schrecken wir jeden Tag mehr Terroristen ab, als die radikalen Kleriker rekrutieren, trainieren und gegen uns in Stellung bringen?“

Der eisernen Hand folgt in Amerika eine neue Ratlosigkeit. Hat die vermeintliche Stärke das Land wirklich sicherer gemacht? Lange fand Richard Clarke, der Mahner, kein Gehör. Jetzt wird es ihm gewährt. Immerhin.

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