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Meinung: Die Autoritätsfalle

Jassir Arafat hat sein persönliches Schicksal eng mit dem Friedensprozess verknüpft. Seine Regierung ist international und intern durch die Aussicht auf ein Friedensabkommen legitimiert.

Jassir Arafat hat sein persönliches Schicksal eng mit dem Friedensprozess verknüpft. Seine Regierung ist international und intern durch die Aussicht auf ein Friedensabkommen legitimiert. Misslingt es, würden die innenpolitischen Rivalen des Palästinenserpräsidenten gestärkt. Deshalb kann man Jassir Arafat glauben, dass er nach wie vor eine Verhandlungslösung mit Israel sucht. Aber der historische Führer, PLO-Chef und Autonomiepräsident hat nicht mehr die Macht dazu. Er hat das Gewaltmonopol verloren, Umfragen zufolge steht höchstens noch etwa ein Drittel der Bevölkerung hinter ihm und der alten PLO-Garde, die Arafat im Exil begleitete und heute an den Schaltstellen der Macht in Palästina sitzt. 1996 waren dies über 70 Prozent.

Für diese Entwicklung gibt es zwei Gründe: Einmal hat Israel durch kontinuierliche Nichterfüllung unterzeichneter Abkommen und durch den fortgesetzten Bau von Siedlungen das Vertrauen der Palästinenser in eine Verhandlungslösung - wie von Arafat propagiert - zutiefst erschüttert. Ariel Scharon hat seit seinem Amtsantritt nur ein einziges Konzept im Umgang mit den Palästinensern vorgelegt. Es zielt auf die systematische Aushöhlung der Autorität Arafats und der Autonomiebehörde.

Die zweite Ursache für Arafats Schwäche ist selbst gemacht. Dafür ist allein der Palästinenserführer verantwortlich. Der langjährige Guerilla-Kämpfer hat nicht nur versäumt, ein transparentes, demokratisches Gemeinwesen in Palästina aufzubauen. Er hat es systematisch verhindert. Das rächt sich jetzt. Denn die zweite Intifada wird ebenso sehr von der Enttäuschung über die Fortsetzung der israelischen Besatzung wie über den autoritären, korrupten Regierungsstil Arafats und seiner engsten Vertrauten getragen.

An ihrer Spitze steht die "neue Garde" aus Arafats eigenen Reihen, die jüngeren Führer im nationalistischen Lager, die keine Möglichkeit haben, auf legale und demokratische Weise in den Machtapparat aufzusteigen. Sie haben die zweite Intifada auch deshalb organisiert, um Arafat ihren Machtanspruch zu demonstrieren. Nicht Arafat selbst steckt also hinter der Intifada, wie im Westen oft angenommen wurde, sondern seine internen Rivalen im nationalistischen Lager. Sie haben ihr einen bewaffneten Charakter gegeben. Sie arbeiten aus taktischen Gründen mit den Islamisten zusammen, um ihre eigene Popularität zu steigern.

Anstatt diese Generation der 40-Jährigen einzubinden und sie an den politischen Entscheidungen zu beteiligen, hat Arafat sie gewähren lassen. Mit dem Ergebnis, dass der Palästinenserpräsident nun nicht einmal mehr in seinem eigenen, nationalistischen Lager einen Waffenstillstand durchsetzen kann. Denn die Marwan Barghoutis und Husam Khaders, die lokalen Fatah-Führer in Ramallah und Nablus, werden sich kaum von den Islamisten abwenden, mit denen sie aus Machtkalkül zusammenarbeiten. Sie wollen jede Entwicklung verhindern, die die Position der "alten Garde" um Arafat auf ihre Kosten stärkt.

Die Situation beruhigt sich erst, wenn Arafat der neuen Garde Machtpositionen in der Autonomiebehörde gibt. Nur so können sie davon abgehalten werden, weiter mit den Islamisten zusammenzuarbeiten. Diejenigen, die zu einer friedlichen Lösung nicht bereit wären, die Anhänger des bewaffneten Kampfes gegen Israel, würden dann wieder zu einer Minderheit, gegen die man vorgehen kann. Immer unter der Voraussetzung, dass auch Israel an einer politischen statt an einer militärischen Lösung interessiert ist. Arafats Maxime, man müsse erst die israelischen Besatzer loswerden, bevor man sich um den Aufbau eines demokratischen Staatswesens kümmern könne, hat sich als gefährlicher Trugschluss erwiesen.

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