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Meinung: Die Dauer der Trauer

Holocaust-Gedenktag: Was Dresden von Auschwitz unterscheidet

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler gibt sich gern volksnah. Und das Volk redet derzeit über Krieg. Aber nicht nur über einen möglichen im Irak, sondern auch über den, den die Deutschen selbst vor 60 Jahren in Form von alliierten Bombenangriffen erlebt und erlitten haben. Für Gauweiler ist das Anlass genug, einen Gedenktag für die deutschen Bombenopfer zu fordern. Es sei „eine sittliche Pflicht“ der Bundesrepublik, an die vielen tausend Toten zu erinnern. Mit dieser Begründung will er einen entsprechenden Antrag in den Bundestag einbringen. Nicht irgendwann einmal, nein, noch diese Woche, in der republikweit an den Holocaust erinnert wird. Das ist aber wahrlich der falsche Moment für einen solchen Vorstoß. Denn so wirkt Gauweilers Vorschlag unsittlich. Wer im Umfeld des 27. Januar die Idee eines Gedenktages für deutsche Opfer in die Öffentlichkeit trägt, setzt sich sofort dem Verdacht aus: Hier soll mal wieder etwas aufgerechnet werden, was nicht aufgerechnet werden kann. Das riecht nach Revanchismus.

Dabei ist generell nichts dagegen einzuwenden, dass an einem festgelegten Tag mit Reden und Veranstaltungen das Leid der Deutschen in Erinnerung gerufen wird. Auch im Volk der Täter können Opfer sein. Das Problem ist nur, dass in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Trauer um die Bombentoten in den Vordergrund gerückt wurde, um von den eigenen Verbrechen abzulenken. Die Generation der 68er tat dann genau das Gegenteil. Die intensive Auseinandersetzung über die deutschen Untaten überdeckte, dass Deutsche zum Beispiel in Dresden und Hamburg unverhältnismäßig leiden mussten.

Diese Tatsache anzuerkennen, ist heutzutage nicht mehr anrüchig. Jetzt ist es möglich, Trauer nachzuholen, ohne schamvoll in den Boden zu versinken. Das liegt auch daran, dass eine große Mehrheit der Deutschen zu Recht ihre Verantwortung für den Holocaust tatsächlich verinnerlicht hat. Der am Montag geschlossene Staatsvertrag zwischen dem Zentralrat und der Bundesrepublik ist der formale Ausdruck dafür, dass Juden hier wieder leben können und wollen. Voraussetzung dafür war, dass sich in der deutschen Gesellschaft eine ungeschriebene Übereinkunft entwickelt hat über das, was der Holocaust bedeutet: ein singuläres Verbrechen. Jeder Vergleich, jedes Aufrechnen mit anderen Verbrechen verkennt, dass es die Deutschen waren, die die Welt in Brand steckten. Was in Dresden und Hamburg geschah, war eben eine Reaktion auf Coventry.

Klar ist auch: Die Wunde, die den Juden geschlagen wurde, kann nicht geheilt, der Schmerz kann nur gelindert werden. Der Staatsvertrag ist so ein linderndes Mittel. Die Bundesrepublik erkennt damit die jüdische Gemeinschaft als Teil der Gesellschaft für alle sichtbar an. Und die hier lebenden Juden bekunden ihr Vertrauen in die Stabilität der Demokratie. Das ist schon viel, nämlich die Hoffnung auf die Zukunft. Aber ein Rest Misstrauen wird bleiben. Ebenso wie der andere Blick auf die Geschichte und die Lehren, die aus ihr zu ziehen sind. Zum Beispiel, wenn es um den Irak geht.

Für Zentralratspräsident Paul Spiegel ist es – anders als für die Regierung und die Mehrheit der Deutschen – eben keine Frage, dass ein Krieg gegen Saddam Hussein geführt werden muss, besser heute als morgen. Er sieht in der heutigen Situation Parallelen zu 1938. Damals glaubte Europa, Hitler gewähren lassen zu müssen, um einen Weltkrieg zu verhindern. Doch die Appeasement-Politik hat den Eroberungshunger des deutschen Diktators noch angestachelt. Deswegen hält Spiegel einen Krieg gegen den Irak auch jetzt schon für gerechtfertigt. Bevor es Saddam gelingen kann, noch größeren Schaden anzurichten.

Man muss dieser Sichtweise nicht folgen. Aber man muss damit leben, dass es unterschiedliche Wahrnehmungen gibt. Die Nachkommen der Täter haben aus der Nazizeit die Lehre gezogen: Nie wieder Krieg. Die Opfer dagegen wollen nie wieder Opfer werden. Sie drängen deshalb zu handeln – notfalls auch mit Waffengewalt, bevor es zu spät ist. Auch wenn Saddam Hussein nicht mit Adolf Hitler zu vergleichen ist.

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