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Jonny K.-Prozess in Berlin.

© dpa

Jonny-K.-Prozess: Die Richter müssen unbefangen Recht sprechen

Wegen eines befangenen Schöffen ist der Prozess gegen die Schläger vom Alexanderplatz vorerst geplatzt. Manche beklatschen den Mann als "mutigen Laienrichter". Doch unser Autor sieht das ganz anders.

Viel wollte sie nicht von diesem Prozess, hatte die Schwester von Jonny K. gesagt. Nur die Wahrheit. Bekommen hat sie die bisher nicht. Geboten wurden ihr im Verfahren um ihren mitten in Berlin totgeprügelten Bruder stattdessen Ausreden der Angeklagten, ihre „leeren Gesichter“, wie sie sagte, gegenseitiges Schuldzuweisen, Nichtwissen- und Vergessenhabenwollen. Schließlich ein Eklat innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals, weil einem Schöffen angesichts der Ahnungslosigkeit von Zeugen der Kragen platzte und er vor Journalisten über die Verteidiger herzog.

Nun platzt der Prozess oder ist zumindest kurz davor, und verhandelt wird statt der Schuld der Angeklagten die berechtigte Frage, wie es so weit kommen konnte. Skandal, weil kein Ersatzschöffe zur Stelle ist? Notorisch skrupulöse Richter, die es mal wieder mit ihren Vorschriften übertreiben? Oder ein Versagen des Systems, das Angeklagten und ihren stets fordernden Anwälten ein Übermaß an Schutz und Rechten gestattet? Der Befund lautet auf Frust und Empörung, jedenfalls bei jenen, die meinen, für deren Artikulation zuständig zu sein. Bei Jonnys Schwester und ihrer Familie, denen unser Mitgefühl gehört, dürfte es eher tief empfundene Enttäuschung sein.

Bevor dem Fall die üblichen Erklärschablonen aufgelegt werden, sei der Hinweis erlaubt, dass in diesem Prozess derzeit Recht geschieht. Ein Schöffe hat offenbar seine Aufgabe verkannt, das Richteramt „in vollem Umfang“ auszuüben, wie es im Gesetz heißt. Die eigene Sicht und Voreingenommenheit zum Maß der Dinge zu machen, steht dem entgegen. Das Problem scheint daher eher ein anderes zu sein: In welchem Klima finden Strafverfahren in Deutschland statt, wenn jemand, der solche Fehlleistungen erbringt, in der Presse auch noch als „mutiger Laienrichter“ beklatscht wird?

Der Rechtsstaat hat es schwer zurzeit, seine Prozesse plausibel zu machen. Denn nicht alle wollen, wie die Schwester von Jonny K., nur „die Wahrheit“. Sie wollen Aufarbeitung und Trost, Sühne und Entschuldigung. Sie wollen Reue spüren und dass die Opfer nicht vergessen werden. Alles verständlich, bloß: In einem Strafprozess ist vieles erreicht, wenn er „der Wahrheit“ wenigstens etwas nahekommt. Wer mehr erwartet, erwartet schnell zu viel. Und die Vorhersehbarkeit der eigenen Enttäuschung wird dann als Argument genommen, weshalb diese besonders gerechtfertigt sein soll.

Unter solchen Vorzeichen wird es schwierig, unbefangen Recht zu sprechen. Der Trubel um den NSU-Prozess war insoweit kein Ausreißer, sondern ein besonders beredter Beleg für die wachsende Kluft zwischen Richtern und Öffentlichkeit. Von der formenstreng an Recht und Gesetz gebundenen Justiz zu verlangen, diese Kluft zu schließen, hieße nur, sie mit einer weiteren unerfüllbaren Erwartung zu befrachten.

Eine Antwort, warum es ist, wie es ist, fällt schwer. Das kalte Strafrecht übergeht die Opfer, ihm ist alles Menschliche fremd, heißt es oft. Das stimmt so nicht. Die Strafrechtspolitik der vergangenen zwei Jahrzehnte stand im Zeichen der Opfer. Im Namen der Opfer wurde die Sicherungsverwahrung so oft verschärft, bis sie verfassungswidrig wurde. Noch nie waren Opferinteressen so massiv vertreten wie jetzt im NSU-Prozess, und noch nie hat ein Gericht, wie jüngst das Bundesverfassungsgericht, Medien wegen ihrer Opferperspektive ein Recht auf Prozessberichterstattung eingeräumt. Niemand vergisst die Opfer. Aber mancher, scheint es, vergisst, was ein Richter ist.

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