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Deutsche Geschichte: Die Stunde null

Ob Nazi oder Stasi: Langsam schließen die Deutschen Frieden mit ihrer Vergangenheit.

Die Beschäftigung mit den Nazis war in der Nachnazizeit von vielen praktischen Aspekten motiviert. Man berief sich auf Hitler und Auschwitz, um gesellschaftliche Forderungen zu erheben. Friedensbewegte sahen sich als einzig legitime Erben des Antifaschismus, wer Sekundärtugenden verachtete und Volkszählungen boykottierte, tat das ebenfalls. Selbst in Projekten, die eher allgemeiner Natur waren – herrschaftsfreier Diskurs, Ostpolitik, antiautoritäre Erziehung –, fanden sich Spurenelemente des Nie-wieder-Gelöbnisses. Weil es hieß, die Nazis seien ganz weit rechts gewesen, profitierten von der altdeutschen Vergangenheitsbewältigung vor allem die Linken.

Diesen Spieß kehrten die Konservativen nach 1989 um. Nun wurden nicht mehr Altnazis entlarvt, sondern Stasi-IMs. Die westdeutschen Intellektuellen, ihre liberalen Medien, die Hochschulen und die Friedensbewegung – alles unterwandert, von Moskau gesteuert, zutiefst korrupt. Weil es hieß, die Kommunisten seien links gewesen, profitierten von der neudeutschen Vergangenheitsbewältigung vor allem die Rechten. Ein bloß erkenntnisgeleitetes Interesse an der Historie hatten auch sie nicht.

Deshalb ist es nur folgerichtig, dass Schweigen herrscht statt Empörung, wenn sich die Fronten verschieben, wenn plötzlich ein Linker im Verdacht steht, Nazi gewesen zu sein, und ein Rechter, sich der Stasi angedient zu haben. Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass drei Künstler NSDAP-Mitglieder waren, Martin Walser, Dieter Hildebrandt und Siegfried Lenz. Alle drei bestreiten, einen Antrag auf Mitgliedschaft ausgefüllt zu haben. Ist das glaubwürdig? Darüber gehen die Meinungen der Historiker auseinander. Einige sagen, ein schriftlicher Antrag mit eigenhändiger Unterschrift sei notwendig gewesen. Andere sagen, es habe Fälle von kollektiver Aufnahme in die Partei ohne Wissen und Zutun der Betroffenen gegeben.

Fast gleichzeitig wurde gemeldet, dass ein langjähriges Mitglied der Ethikkommission der Landesärztekammer Brandenburg, Bernd Findeis, seinen Posten räumen muss. Er war sechs Jahre lang von der Stasi als inoffizieller Mitarbeiter geführt worden, hatte dies aber verschwiegen. Zur Wendezeit war Findeis Gründungsmitglied der Partei Demokratischer Aufbruch und sitzt heute für die CDU im Bernauer Stadtparlament.

Was auffällt: Zu Fällen werden all diese Fälle nicht. Die Linken haben Günter Grass verziehen, bei der Waffen-SS gewesen zu sein, im Vergleich dazu ist die Frage, ob Hildebrandt in der NSDAP war, banal. Und die Rechten thematisieren einen IM in ihren Reihen schon deshalb nicht, weil der Feind ja nur links sitzen kann. Was nicht zur Instrumentalisierung taugt, wird ausgeblendet. Die Wahrheit? Pah! Um die geht es doch nicht.

Und so schließen die Deutschen langsam Frieden mit sich. Nazis und Stasis gab’s halt überall, man muss sich arrangieren in finsteren Zeiten, weil niemand ohne Sünde ist, wirft auch niemand den ersten Stein. Die Vergangenheit nützt keinem mehr, weil sie keinem mehr alleine nützt. Sie möge also ruhen.

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