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Die Türkei und Europa: Eigene Ziele, eigene Macht

Nach der traditionellen Bindung zum Westen, wendet sich die Türkei nun auch Alternativen zu Europa zu. Alte Türkeibilder taugen nichts mehr.

Die Krise mit Israel, das Nein zu UN-Sanktionen gegen den Iran, und nun noch die Entscheidung zur Bildung einer Freihandelszone mit Syrien, dem Libanon und Jordanien, die als Keimzelle einer „Nahost-Union“ und Alternative zur EU bezeichnet wird: Wendet sich die Türkei vom Westen ab? Manche sagen, das Land schließe sich immer offener dem islamischen Lager an. US-Verteidigungsminister Robert Gates meint, Europa habe die Türkei verstoßen und damit auf Ostkurs gesetzt. Beides geht an der Sache vorbei.

Wenn die türkische Regierung bei ihren europäischen und amerikanischen Partnern den Verdacht erregt, sie wolle das Land aus seiner traditionellen Westbindung lösen, dann liegt das nicht zuletzt am herben und populistischen Stil von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Bei der jüngsten Krise um die Gaza-Schiffe schien sich bei ihm zeitweise sogar ein bedenklicher antiisraelischer Eifer Bahn zu brechen. Doch Erdogan und seiner islamisch-konservativen Regierung geht es nicht um Religion, sondern um Macht. Die Türkei will zur Führungsnation ihrer Region werden, nicht zur Anführerin der islamischen Welt.

Deshalb bemüht sich Erdogan nicht nur um gute Beziehungen zu Syrien und dem Iran, sondern auch um eine Aussöhnung mit dem christlichen Armenien und eine engere Zusammenarbeit mit dem christlichen Griechenland. Das Land vermittelt derzeit ebenso zwischen Serbien und Bosnien wie zwischen Afghanistan und Pakistan. Für den Westen bedeutet dies, dass alte Türkeibilder nichts mehr taugen. Im Kalten Krieg war Ankara der treue Verbündete an der Südostflanke der Nato. Heute verfolgt die Türkei eigene Ziele. Dennoch liegt es im Interesse von Europa und den USA, dass die Türkei in der Region zur Ordnungsmacht Nummer eins wird.

Die westliche Politik des vergangenen Jahrzehnts, insbesondere der Irakkrieg und die Aufgabe der traditionellen US-Vermittlerrolle im Nahostkonflikt zugunsten einer prononciert proisraelischen Haltung, hat ein Vakuum geschaffen. Ägypten und die Ölstaaten am Golf sind politisch zu schwach, um die Lücke füllen zu können. Und eine Vormachtstellung Irans wird nicht nur vom Westen gefürchtet, sondern auch von den meisten Akteuren in der Region selbst. Bleibt die Türkei. Das ist die geostrategische Gelegenheit, die Erdogans Regierung beim Schopfe packen will. Ost wie West werden sich daran gewöhnen müssen.

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