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Doppelte Staatsbürgerschaft? Nach langem politischen Hin und Her soll dies nun möglich werden.

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Doppelte Staatsbürgerschaft: Das Bürokratiemonster lebt

Laut einer Umfrage sind die Anhänger fast aller im Bundestag vertretenen Parteien für die Beibehaltung der ausländischen Staatsangehörigkeit beim Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft. Warum nicht mal auf die eigenen Wählerinnen und Wähler hören?

Jetzt ist sie weg, die Pflicht, sich entscheiden zu müssen – zumindest steht es so im Koalitionsvertrag. Endlich und längst überfällig, möge man meinen, wenn da nicht die Taschenspielertricks der CDU/CSU wären. Die Optionspflicht war und ist ein Bürokratiemonster, das hier geborene Jugendliche nicht-deutscher Eltern dazu zwingt, sich im Alter zwischen 18 und spätestens 23 Jahren für eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden. Wie es scheint, soll dieses Bürokratiemonster fortbestehen, weil sich die Koalitionspartner in einem Interpretationsstreit befinden. Die Optionspflicht soll nur für diejenigen aufgehoben werden, die hier geboren und hier aufgewachsen sind. Nun frage ich mich, wie der Begriff „aufgewachsen“ definiert wird. Reicht in der Tat nur der Schulabschluss? Oder die polizeiliche Anmeldung ohne einen bürokratischen Spießrutenlauf?

Und: Wie lässt sich das mit der Freizügigkeit in Europa vereinbaren? Wenn meine Tochter für ein Austauschjahr nach Frankreich geht und sich entscheidet, dort ein Studium aufzunehmen? Wenn Schüler mit deutschem Pass einen ausländischen Schulabschluss haben? Was ist dann? Die Chancenungerechtigkeit bleibt nicht nur bestehen, sondern es wird erneut deutlich gemacht: Ihr seid anders. Auch stellt sich die Frage: Was passiert mit den Jugendlichen, die ihre deutsche Staatsbürgerschaft bereits verloren haben? Was passiert bis die Abschaffung der Optionspflicht durch ist? Bisher sind über 350 junge Menschen „zwangsweise“ ausgebürgert worden. In den kommenden zwei Jahren werden etwa 8500 von der Regelung betroffen sein, Tendenz steigend. Warum die Koalition weiterhin Bürgerinnen und Bürger erster und zweiter Klasse schafft, kann nicht nachvollzogen werden und zeigt nur, dass Ungleichbehandlung weiterhin zur Tagesordnung gehören wird.

Dieses integrationsfeindliche Modell lässt weiter Jugendliche unter dem Druck des "Sich-Entscheiden-Müssens" aufwachsen. Da hilft auch die scheinbare unbürokratische Lösung des Innenministers nicht. Kein Wunder, dass sich viele Jugendliche hier nicht heimisch fühlen, will man ihnen doch einen wichtigen, oftmals auch emotionalen Teil der Identität nehmen. Selbst wenn die Optionspflicht (hoffentlich bald) abgeschafft ist, reicht dieser winzige, längst überfällige Schritt nicht für eine zeitgemäße Integrationspolitik in einem  Einwanderungsland. „Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang und die Mehrstaatigkeit wird akzeptiert. Im Übrigen bleibt es beim geltenden Staatsangehörigkeitsrecht“, so der Wortlaut des Koalitionsvertrags. Also keine generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit, obwohl bereits über sechs Millionen „Doppelstaatler“ im Land leben und Deutschland mit über 53 Staaten so genannte Doppelstaatsbürgerschaftsabkommen hat. Bei Amerikanern, Brasilianern und Europäern zum Beispiel ist die doppelte Staatsangehörigkeit kein Problem. Worum geht es also? Geht es hier um die Türken? Wollen wir eine Lex Türkei?

Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vergibt nicht nur eine Chance, sondern ist eine Ohrfeige für alle einstigen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter der ersten Generation, die unser Land mit aufgebaut haben. Wäre es nicht ein symbolisches und ebenfalls längst überfälliges Zeichen der Anerkennung von Lebensleistungen dieser Generation, ihnen die doppelte Staatsbürgerschaft zu erlauben? Was spricht dagegen? Kann man hier wirklich scheinheilige Argumente wie Illoyalität anführen? Probleme in nennenswertem Umfang mit der Mehrstaatigkeit sind nicht bekannt, auch nicht hinsichtlich der Loyalität! Völkerrechtlich ist die Hinnahme von Mehrstaatigkeit unproblematisch. International lässt uns der Stillstand nur lächerlich aussehen. Deutschland ist eines der wenigen Länder im internationalen Vergleich, das Mehrstaatigkeit nicht generell hinnimmt. Für einen globalen Wirtschaftsstandort ein Armutszeugnis.

Migrationsverbände reden zu Recht von "Wortbruch" und "Mogelpackung" in Bezug auf die Wahlversprechen der SPD. Natürlich kann ein Koalitionsvertrag nur ein Kompromiss sein. Aber warum tun sich CDU/CSU hier so schwer, obwohl ihre Wählerinnen und Wähler viel weiter sind? Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa sind die Anhänger fast aller im Bundestag vertretenen Parteien mehrheitlich für die grundsätzliche Beibehaltung der ausländischen Staatsangehörigkeit beim Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft. Warum nicht mal auf die eigenen Wählerinnen und Wähler hören?

Der Autor ist Mitglied des Bundestags (Grüne).

Özcan Mutlu

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