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Meinung: Drum prüfe, wer sich ewig bindet

Die EU zeigt bei den Verhandlungen mit der Türkei Nerven – aus gutem Grund

Ob die Türkei jemals der Europäischen Union beitritt? Nach dem Fehlstart von Luxemburg kann man dies bezweifeln. Als am Montag die Zeremonie zum Beginn der EU-Beitrittsgespräche zu platzen drohte, war es so ähnlich wie bei einer misslungenen Verlobung: Die Frau will am Vorabend der Feier noch einmal grundsätzlich darüber reden, wie lange die Verlobungszeit dauern soll und ob man am Ende vielleicht auch einfach nur gute Freunde bleiben kann. Der Mann überlegt sich derweil, ob er überhaupt zur Feier kommt.

Abdullah Gül, der türkische Außenminister, fand sich am Montag in der Rolle des gekränkten Verlobten wieder. Ganz unerwartet kam das Fiasko von Luxemburg allerdings nicht. Schon seit langem steht die EU-Bevölkerung einem türkischen Beitritt zur Europäischen Union skeptisch bis ablehnend gegenüber. Und seit die Franzosen und Niederländer der EU-Verfassung eine Absage erteilten, haben es die Regierungschefs in Europa auch schwarz auf weiß: Vielen Menschen in der EU ist die Erweiterung in den vergangenen Jahren zu schnell gegangen, sie nehmen die Europäische Union nicht als Chance wahr, sondern als Bedrohung.

Diese Klimaverschlechterung war auch am Montag in Luxemburg deutlich zu spüren. Auch wenn sie nicht am Tisch saßen, so waren zwei Türkei-Skeptiker aus Deutschland und Frankreich im Geiste doch dabei: Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel und der Chef der französischen Regierungspartei UMP, Nicolas Sarkozy. Beide lehnen eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei ab, und beide wollen – die eine früher, in diesem Herbst, der andere später, im Jahr 2007 – an die Macht.

Die österreichische Außenministerin Ursula Plassnik, die das Ziel eines türkischen EU-Beitritts am liebsten ganz aus dem Luxemburger Text gestrichen hätte, glaubte sich deshalb politisch keineswegs isoliert. Das war sie allerdings, wenn man der reinen Logik der EU-Beschlüsse folgen würde: Denn seit sich die 25 Staats- und Regierungschefs im vergangenen Dezember auf die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Türkei am 3. Oktober verständigt haben, gibt es hinter diesen Beschluss eigentlich kein Zurück mehr.

Was wiegt also schwerer, die Gefahr der Wortbrüchigkeit, in die sich die EU begibt – oder das neue Nachdenken über den politischen Kurs der Europäischen Union, das spätestens seit dem französischen und niederländischen Nein zur EU-Verfassung eingesetzt hat? Die Antwort sollte lauten: Wer die Vision von einer politisch machtvollen EU überhaupt noch ernsthaft aufrechterhalten will, kann nicht gleichzeitig die Aufnahme der Türkei fordern.

Es ist schon wahr: Die Türkei hätte es verdient, wenn die EU mit dieser Diskussion vorher begonnen hätte und nicht erst zum Verlobungstermin. Aber regelrecht scheinheilig wäre es, Verhandlungen mit den Partnern in Ankara aufzunehmen – und insgeheim zu hoffen, dass der Türkei die Lust auf die Ehe schon noch vergehen wird. Das haben beide nicht verdient. Weder die EU-Bevölkerung noch die Menschen in der Türkei.

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