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Allen Aufforderungen von Umweltschützern zum Trotz wurde am Samstag eine Verlangsamung der Energiewende beschlossen.

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EEG-Reform und ein neuer Strommarkt: Neue Untätigkeit in der Energiewende

Die Energiewende muss das große Projekt der großen Koalition werden. Mit ihrer Mehrheit könnte sie den Rahmen für das Neue schaffen. Doch es sieht so aus, als wollte sie das neue Marktdesign auf die lange Bank schieben.

Eigentlich hätte es die große Koalition leicht, die Energiewende zu ihrem gemeinsamen Projekt für die neue Legislaturperiode zu machen. Seit Anfang der neunziger Jahre gibt es in Deutschland parteiübergreifend eine große Einigkeit darüber, dass der Klimawandel ein dringliches Problem ist. Alle bisher vereinbarten Klimaziele sind in großer Einigkeit beschlossen worden. Jede Regierung seither hat klimapolitische Akzente gesetzt.

Seit der Bundestag 2011 nahezu einstimmig beschlossen hat, aus der Atomenergie auszusteigen und in Deutschland die Energiewende ausgerufen hat, erfreut sich dieses Projekt in der Bevölkerung großer Mehrheiten. Die Zielvorgaben sind seither ziemlich klar. Bis 2020 soll der Treibhausgasausstoß Deutschlands um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken, bis 2050 um mindestens 80 Prozent. Der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch soll bis 2020 bei 35 Prozent liegen, bis 2050 sollen es 80 Prozent sein. Und der Primärenergieverbrauch soll bis 2020 um 20 Prozent sinken, bis 2050 um 50.

Union und SPD betonen deshalb, dass die Energiewende eine der „Hauptaufgaben der großen Koalition“ sein soll. Doch ganz so einfach ist es mit der Einigung wohl doch nicht. Am Samstagabend präsentierten die beiden Verhandlungsführer, die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und der amtierende Umweltminister Peter Altmaier (CDU) ihre Einigung, die einen Großteil der wichtigen Fragen offen ließ.

Es gibt drei dringende Themen für die Energiewende

Um die selbst gesetzten Ziele zu erreichen, müsste die große Koalition vor allem drei Themen möglichst schnell anpacken: Sie muss sich schnell darüber einig werden, mit welchen Positionen sie in die Verhandlungen über die Klimaziele der Europäischen Union für das Jahr 2030 gehen will. Mit Blick auf die eigenen Zielsetzungen wäre es weise, ambitionierte Ziele anzustreben. Und was die Senkung der Treibhausgasemissionen in Europa angeht, haben sich Union und SPD auch auf eine Zahl geeinigt. In der EU soll der Treibhausgasausstoß bis 2030 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Dafür wollen sie sich in Brüssel einsetzen. Neben dem Klimaziel soll es weiterhin ein Ausbauziel für erneuerbare Energien und ein Energieeffizienzziel geben. In beiden Fällen haben sie allerdings noch nicht ausgehandelt, wie hoch oder ehrgeizig diese beiden mit dem Klimaziel verbundenen Ziele sein sollen. Und sie können sich offenbar nicht auf ein Klimaschutzgesetz einigen, das die mehrfach beschlossenen Zielvorgaben in Deutschland rechtlich verbindlich macht.

Die Energiewende ist nicht mehr zurückzudrehen. Zu viele Bürger aber auch Institutionen wie Kirchen haben bereits in den Umbau investiert, oder haben es noch vor. Nun geht es darum, wie ein neuer Handelsrahmen für Strom aussehen könnte. Die große Koalition will das Thema aber offenbar lieber aussitzen. Das Foto zeit die Kirche in Zernin bei Bützow in Mecklenburg-Vorpommern.
Die Energiewende ist nicht mehr zurückzudrehen. Zu viele Bürger aber auch Institutionen wie Kirchen haben bereits in den Umbau investiert, oder haben es noch vor. Nun geht es darum, wie ein neuer Handelsrahmen für Strom aussehen könnte. Die große Koalition will das Thema aber offenbar lieber aussitzen. Das Foto zeit die Kirche in Zernin bei Bützow in Mecklenburg-Vorpommern.

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An einer weiteren Brüsseler Baustelle haben sich Kraft und Altmaier diese Woche sehen lassen. Sie sind gemeinsam zum EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia gereist, um ihn davon zu überzeugen, dass die Befreiung der deutschen energieintensiven Industrie von der Erneuerbaren-Energien-Umlage keine Beihilfe sei. Und wenn es denn eine sei, dass sie trotzdem nötig sei. Auch bei der dringend nötigen Renovierung des EU-Emissionshandels hält sich das künftige Bündnis zurück. Bei zwei Milliarden überschüssigen Kohlendioxid-Zertifikaten wollen Union und SPD lediglich 900 Millionen davon vorübergehend vom Markt nehmen. Backloading nennt sich das. Dabei könnte ein höherer CO2-Preis Investitionen in die Energieeffizienz wirtschaftlicher machen.

Hannelore Kraft begann ihre Ergebnisvorstellung am Samstagabend mit einem wortreichen Bekenntnis zur Bedeutung der Energieeffizienz. In den Textentwürfen zum Koalitionsvertrag fehlen allerdings klare Hinweise, worin diese neue Politik denn bestehen könnte. Vor allem bestehende Förderprogramme sollen ausgebaut oder verstetigt werden, gleichzeitig sind diese Forderungen aber alle unter Finanzierungsvorbehalt gestellt worden. Das ist kein großer Unterschied zur bisherigen Untätigkeit auf diesem Feld.

Die dritte Großbaustelle mit schnellem Handlungsbedarf ist der Komplex Förderung erneuerbarer Energien, Flexibilität im Stromsystem und auf zumindest mittlere Sicht ein neues Konzept für den Strommarkt. Es ist ziemlich sinnlos, diese Themen unabhängig voneinander anzugehen. Den derzeit existierenden Strommarkt unterlaufen Wind- und Solarstrom, weil sie keine Brennstoffkosten haben. Damit schlagen sie am existierenden Strommarkt zwar alle anderen Energieträger. Aber die dafür nötigen Investitionen sind so nicht zu verdienen.

Nicht mit einer EEG-Reform verzetteln

Anstatt eine umfassende EEG-Reform anzugehen – „das zentrale Gestaltungsprojekt der großen Koalition“ (Altmaier) – und die Strommarktreform auf die lange Bank zu schieben, sollte die große Koalition die Themen zusammenhängend verstehen. Der Umbau einer zentralen Stromversorgung auf der Basis großer Kraftwerke mit kontinuierlicher Erzeugung hin zu einem System mit Tausenden nicht jederzeit verfügbaren Wind- und Solaranlagen, ist mit einem auf das alte System zugeschnittenen Strommarkt-Design nicht zu schaffen.

Selbst in Ländern, die weniger ambitioniert erneuerbare Energien in ihre Stromversorgung integrieren, haben die Regierungen erkannt, dass ein Strommarkt, aus dem heraus Neu-Investitionen – in was auch immer – nicht mehr verdient werden können, ihnen nicht in die Zukunft hilft. Frankreich führt gerade einen Kapazitätsmarkt ein, über den auch die Bereitstellung von Stromerzeugungsleistung und nicht nur -produktion teilweise entlohnt wird. Großbritannien, Belgien, Polen diskutieren darüber. Deutschland könnte in vier Jahren von Kapaziätsmärkten in den Nachbarländern regelrecht umzingelt sein.

Die große Koalition hätte die Chance, mit ihrer großen Mehrheit einen tragfähigen gesellschaftlichen Konsens über das Aussehen eines Strommarkts für die erneuerbare Zukunft auszuhandeln. Die sollte sie dringend nutzen.

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