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Ehec: Keim der Verunsicherung

Konkrete Empfehlungen trotz vagen Verdachts: Die Gesundheit der Menschen muss im Vordergrund stehen, das ist keine Frage, aber beim Thema Ehec schleicht sich das Gefühl ein, dass Fachleute und Politiker Stärke zeigen wollen, wo es keine geben kann.

So schnell ändert sich alles. Bis vor drei Wochen galten Salat, Tomaten und Gurken als gesundes Essen. Dann kam der tödliche Durchfallkeim Ehec. Seitdem ist aus vielen Schulmensen Rohkost vom Speiseplan verschwunden. Wer in der Firmenkantine weiter zur Salatbar geht, wird als Selbstmordkandidat verspottet. Gemüse gibt es, wenn überhaupt, nur noch gebraten, gekocht oder am besten gleich aus der Dose.

Die Angst vor dem Keim wächst. Je länger die Suche nach der Quelle dauert, desto mehr Menschen erkranken. In Hamburg werden Infizierte jetzt in Zelten behandelt, weil die normalen Stationen übervoll sind. Das erinnert an Zustände wie im Krieg. Inzwischen breitet sich der Keim der Angst immer weiter aus, er scheint auch näher an Berlin heranzurücken.

Die Menschen sind besorgt, verständlicherweise. Seit drei Wochen suchen die Behörden nach dem Erreger, vergeblich. Wissenschaftler, Lebensmittelkontrolleure, Ärzte tappen im Dunkeln. Hoch spezialisierte Labore, Universitätskliniken, Professoren jagen ein Phantom, das sie nicht zu fassen bekommen. Woher der Keim kommt und wie sie ihn bekämpfen können, wissen auch diejenigen, die uns normalerweise Sicherheit verheißen, nicht. Trotz aller Hightech-Medizin und -Maschinen fühlt man sich spätestens nach dem Vergleich eines Mediziners mit den Zeiten der Pest wie im Mittelalter – unsicher, ängstlich, hilflos. Bleibt gesund, wer auf Tomaten, Gurken und Salate verzichtet? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Möglicherweise steckt der Keim in der Milch. Oder im Hackfleisch. Vielleicht aber auch im Großmarkt, in der Verpackungsfabrik oder in den Lastwagen.

Dennoch haben die Fachleute – das Robert-Koch-Institut (RKI), die Verbraucherbehörden der Länder und die Bundesverbraucherministerin – konkrete Empfehlungen gegeben, offenbar auf vagen Verdacht. Die Gesundheit der Menschen muss im Vordergrund stehen, das ist keine Frage, aber hier schleicht sich das Gefühl ein, dass sie alle Stärke zeigen wollten, wo es keine geben kann. Ilse Aigner, der im Dioxin-Skandal mangelnde Entschlossenheit vorgeworfen wurde, warnt jetzt umso resoluter. Wissenschaftlich unterstützt vom RKI, dessen Krisenmanagement zunehmend auf Kritik stößt. Und Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks prangerte gar spanische Gurken vorzeitig als Schuldige an und löste so einen deutsch-spanischen Handelskrieg aus. Wissenschaft und Politik stecken in der Zwickmühle. Um die Bevölkerung zu schützen, müssen sie Informationen schnell weitergeben. Sie laufen damit aber Gefahr, Bauern zu schaden, ernährungswissenschaftlich sinnvolle Lebensmittel zu ächten, ihre eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen und Panik zu schüren.

Auf Behörden und Institute kann man sich derzeit nicht verlassen. Was nun? Jeder muss für sich entscheiden. Ängstliche decken sich mit Konserven ein und nehmen das Salatblatt vom Bäckereibrötchen, andere essen dasselbe wie vorher, Skeptiker kaufen mehr Produkte aus der Region, braten Gemüse und schälen Obst. Noch sind die Ehec-Fälle, verglichen mit den jährlichen Salmonellen-Infektionen, übersichtlich. Doch niemand kann sagen, was kommt. So lange die Quelle nicht gefunden ist, ist alles ungewiss. Und wenn die Quelle nie entdeckt wird? Dann hat die Gesellschaft eine Illusion verloren und eine Erkenntnis gewonnen: Sicherheit gibt es nicht.

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