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Erste Europareise: Obama, der Unbequeme

Barack Obama kommt für eine ganze Woche nach Europa. Er sucht offenkundig Einklang und Kooperation. Doch er hat auch Erwartungen.

Jetzt kommt seine weltliche Heiligkeit, Barack Obama, für eine ganze Woche nach Europa. Und siehe, der Herr macht zwar nicht alles, aber doch vieles neu. Vor dem G-20-Treffen hat Finanzminister Tim Geithner ein nationales Regulierungsziel vorgegeben, das dem deutschen in seiner Radikalität ähnelt: Konzerne, deren Schieflage und ungeordnete Pleite das ganze Wirtschaftssystem gefährden, könnten dann verstaatlicht werden. In Deutschland war die Bank Hypo Real Estate der Auslöser, in den USA der Versicherungsriese AIG. Unter George W. Bush wäre diese Zähmung des freien Markts schwer denkbar gewesen.

Vor dem Nato-Gipfel lobt der neue Präsident den Afghanistankurs der Europäer. Die militärische Sicherung des Terrains bleibt wichtig, deshalb schickt er 17.000 Mann Verstärkung. Aber ebenso entscheidend sei der zivile Aufbau. Den Kampf gegen den Widerstand sollen die Afghanen möglichst bald selbst führen, damit USA und Nato nicht als Besatzer erscheinen; also sendet er 4000 Ausbilder für Afghanistans Armee und Polizei. Auch der Europäischen Union, die viele Amerikaner noch immer belächeln, gibt er die Ehre mit einem Gipfel in Prag. Bush hatte die EU erst ab 2005 umworben, als sein Ansehen im Keller war. Obama zeigt von Anfang an Respekt.

Er sucht offenkundig Einklang und Kooperation. Doch er hat auch Erwartungen an Europa. Es ist noch nicht klar, ob diese zweite Seite der Botschaft bei den Gastgebern ankommt oder ob sie die Ohren davor verschließen, weil sie nicht hören wollen. Bei der leidigen Frage, ob alle Partner mehr Soldaten stellen müssen, wenn die Lage zu entgleiten droht, haben Franzosen und Deutsche sich bisher in ein Verwirrspiel geflüchtet. Sie wollen Obama nicht lauthals eine Bitte abschlagen, also behaupten viele ihrer Politiker und Diplomaten, die USA hätten die Partner nicht um mehr Truppen gebeten. Dieser Beschönigung hat Obamas Sicherheitsberater James Jones nun im Tagesspiegel-Interview widersprochen. Natürlich würden mehr Soldaten benötigt; der Präsident hoffe, dass alle dem Wunsch der Nato-Kommandeure folgen; das werde auch Thema beim Gipfel sein.

Obamas neue Afghanistan-Strategie stellt Europa aber vor eine noch größere Herausforderung – auf dem zivilen Gebiet, das Deutsche und andere Europäer bisher als ihre Paradedisziplin betrachteten und wo sie den Amerikanern Versäumnisse vorhielten. Wenn Obama seine Zusagen wahrmacht und Heerscharen von Ingenieuren, Agrarexperten, Lehrern und Verwaltungsfachleuten nach Afghanistan schickt, um den zivilen Aufbau voranzutreiben, und dafür Milliarden bereit hält, stellt er Europas Beitrag auch da in den Schatten. Schon bald werden die USA zweimal so viel Soldaten in Afghanistan haben wie alle Alliierten zusammen. Im Zivilen wird ihre Überlegenheit noch größer sein.

Wer mehr leistet, hat auch mehr Einfluss auf die Strategie. Obama trennt sich von ideologischem Ballast. Kriegsziel ist nicht mehr der Aufbau einer Demokratie, sondern ein Zustand, in dem Al Qaida keine Terroranschläge mehr planen kann. Das ist eine Abkehr von Bush. Es ist aber auch weniger, als jene Deutsche wollten, die den Bundeswehreinsatz mit dem Aufbau einer Zivilgesellschaft begründeten, in der alle Mädchen die Schule besuchen dürfen. Für sein Ziel ist Obama bereit, Pakistans Souveränität zu missachten. Geht Pakistan nicht gegen Al Qaida und Taliban im Grenzgebiet vor, wird er es tun. Obama kann in Teilbereichen ziemlich unbequem werden.

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