zum Hauptinhalt
Vincent Lambert soll sterben dürfen, fordert seine Frau. Die Eltern sind dagegen.

© AFP

Sterbehilfe für Koma-Patient Vincent?: Es geht um mehr als Selbstbestimmung

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof muss über den Tod eines Komapatienten entscheiden. Der Fall aus Frankreich zeigt, welche Bedeutung die Angehörigen haben - auch wenn sie streiten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Sie zeigt ihm Bilder, streichelt ihn, spricht ihn an. Viviane Lambert ist überzeugt, ihr Sohn Vincent lebe noch ein Leben, seit er nach einem Motorradunfall 2008 gelähmt und künstlich ernährt im Koma liegt. Unsinn, sagt dessen Frau Rachel, er leide, wolle lieber tot sein. Den umstrittensten Sterbehilfefall Frankreichs soll nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entscheiden, der seit Mittwoch darüber verhandelt. Das erst später erwartete Urteil könnte auch für die Diskussion in Deutschland Bedeutung bekommen.

Der Tod von Vincent Lambert war schon beschlossen. Das höchste französische Verwaltungsgericht hatte grünes Licht gegeben, die Maschinen abzuschalten, da grätschte der EGMR im Sommer vergangenen Jahres auf Antrag der Eltern dazwischen. Der 38-Jährige wird weiterleben müssen, bis das Straßburger Gericht entschieden hat. Es geht, zum einen, um die Gesetzeslage in Frankreich. Passive Sterbehilfe, das Sterbenlassen eines unheilbar Erkrankten, ist dort seit 2005 ausdrücklich erlaubt, wenn die Lebensverlängerung unangemessen und unnütz erscheint. Gibt es keine Patientenverfügung, zählt die Stimme von Angehörigen und Ärzten. Was aber, wenn sie nicht mit einer Stimme sprechen? Die Regelungen gelten als unzureichend. Am 21. Januar soll die Pariser Nationalversammlung über Reformen diskutieren.

Vincent Lambert war Krankenpfleger

Vincent Lambert war selbst Krankenpfleger, wie seine Frau, die beschwört, ihr Mann habe erklärt, so niemals leben zu wollen. Vier Geschwister des Patienten stehen auf ihrer Seite, zwei auf der der Eltern. Viviane Lambert und ihr Mann beklagen Verstöße gegen das in der Menschenrechtskonvention verankerte Recht auf Leben und das Folterverbot; auch, weil dem Sohn eine angemessene Physiotherapie vorenthalten werde. Vor allem sehen sie aber den Artikel verletzt, der das Recht auf ihr gemeinsames Familienleben garantieren soll.

Der EGMR ist zurückhaltend in Sachen Sterbehilfe. Ein Menschenrecht auf staatliche Unterstützung gibt es nicht, hat er schon geurteilt. Kritisch sieht er es allerdings, wenn die Regeln unklar sind, etwa in der Schweiz. Die Richter werden wohl kaum darum herumkommen, die Rechte der Eltern gegen den Anspruch der Ehefrau abzuwägen, für ihren Gatten zu sprechen. Ein Dilemma, das Patientenverfügungen lösen sollen. Jedoch, wie der Fall zeigt, ist Selbstbestimmung auch nicht die Antwort auf alle Fragen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false