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EU-Gipfel: Gefangene der Machtwirtschaft

Der Eindruck täuscht: Der Brüsseler Klimabeschluss ist kein bisschen beispielhaft, sondern ein Dokument der Kapitulation der Politik vor den Sachwaltern gut organisierter Wirtschaftszweige.

Das Gesetzespaket gebe ein Beispiel für den Rest der Welt, sagte der polnische Außenminister. Italien habe seine Ziele erreicht, triumphierte der dortige Regierungschef. Arbeitsplätze würden nicht gefährdet, versicherte die deutsche Bundeskanzlerin. Beruhigend, der übliche EU-Kompromiss eben, so klang es, was Europas Regenten zu ihrem gestern verabschiedeten Klimaschutzprogramm zu sagen hatten.

Doch der Eindruck täuscht. Der Brüsseler Klimabeschluss ist ein Dokument der Kapitulation der Politik vor den Sachwaltern gut organisierter Wirtschaftszweige. Fast die gesamte Schwerindustrie soll noch bis 2020 für die von ihr erzeugten Treibhausgase nichts bezahlen. Zwei Drittel der versprochenen Minderung der Emissionen dürfen durch – zumeist wirkungslose und nicht überprüfbare – Projekte in Entwicklungsländern erbracht werden. In ganz Osteuropa erhalten die längst europaweit tätigen Stromkonzerne einen Freibrief für den Betrieb und Ausbau der extrem klimaschädlichen Kohleverstromung. Und selbst in der Alt-EU darf auf Drängen der deutschen Klimakanzlerin der Bau neuer Kohlekraftwerke mit der Vergabe kostenloser Emissions lizenzen auch nach 2013 subventioniert werden. Damit werden genau jene industriellen Strukturen konserviert, für deren Umbau nach Erkenntnis der Experten des UN-Klimarats nur noch ein Jahrzehnt Zeit ist, wenn der Klimawandel die Menschheit nicht in ein weltweites Chaos stürzen soll.

Dabei sind die Argumente, die diesen Verrat an den kommenden Generationen rechtfertigen sollen, reine Propaganda. Diese läuft darauf hinaus, dass wegen der Wirtschaftskrise im Jahr 2009 der Klimaschutz in der Zeit nach 2013 für mindestens sieben Jahre aufgeschoben wird. Weil damit die Chance auf die rechtzeitige Gestaltung eines nachhaltigen Wirtschaftsmodells verspielt wird, das auch von den Schwellenländern übernommen werden kann, erfährt die Menschheit dann spätestens ab 2050 einen Niedergang, der gut ein Fünftel der gesamten Weltwirtschaft zerstören wird. Das jedenfalls war das Ergebnis der von dem Öko nomen Nicholas Stern im vergangenen Jahr vorgelegten Studie, deren Aus sagen sich fast alle EU-Regierungen ausdrücklich zu eigen machten.

So bahnt sich an der Klimafront das gleiche Politikversagen an, das schon die verheerende Finanzkrise verursacht hat. Wieder ist völlig klar, dass die Fortsetzung des bisherigen Kurses geradewegs in die Katastrophe führt. Und wieder gelingt es den transnationalen Konzernen, die jewei ligen nationalen Regierungen perfekt gegeneinander auszuspielen. Erneut triumphiert so das private, kurzfristige Interesse an der Fortsetzung längst überholter Geschäftsmodelle über den Schutz des langfristigen Gemeinwohls und der Lebenschancen unserer Kinder und Enkel.

Der Vorgang offenbart das grund legende Defizit der Politik im Zeitalter der Globalisierung: Während das Kapital über alle Grenzen hinweg agiert, ist die Politik im Korsett der nationalen Interessen hängen geblieben und wegen der so entstandenen ungleichen Machtverteilung fast beliebig manipulierbar. Es seien „nicht die sogenannten Missbräuche wirtschaftlicher Macht zu bekämpfen, sondern wirtschaftliche Macht selbst“, forderte einst Walter Eucken, einer der geistigen Begründer der von Angela Merkel so gerne beschworenen sozialen Marktwirtschaft. Andernfalls könnten Regierungen das Gemeinwohl nicht gegen einzel wirtschaftliche Interessen durchsetzen. Euckens Diktum gilt heute mehr als je.

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