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Das EU-Milliardenprogramm nennt sich "Next Generation EU" - dem Namen muss es auch gerecht werden.

© imago images/Thomas Eisenhuth

EU-Gipfel und Wiederaufbauprogramm: Es ist das Geld der EU-Bürger - sie dürfen sehr wohl Vorgaben für Hilfsfonds machen

Ein Fachgremium soll kontrollieren, dass die Mittel für zuvor vereinbarte Zwecke ausgegeben werden. Gemeinnützige Stiftungen zeigen, wie es geht. Ein Gastbeitrag.

Michael Göring leitet die gemeinnützige ZEIT-Stiftung in Hamburg und war bis 2018 Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands deutscher Stiftungen

In die Zeit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft fällt die Entscheidung über das europäische Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“. Es soll – so ist zu hoffen - in möglichst kurzer Zeit an den Start gehen, ausgestattet mit 750 Milliarden Euro, davon 500 Milliarden Euro als nicht rückzahlbare Zuwendungen.

Darum wird es auch beim EU-Gipfel in Brüssel am Freitag in erster Linie gehen. Für dieses einmalig voluminöse Förderprogramm ist bisher ungeklärt, wie die Mittelverwendung in den europäischen Ländern reguliert und kontrolliert wird.

Vielleicht hilft ein Blick in die Praxis gemeinnütziger Stiftungen.

Ein Verwendungsnachweis sichert die konkret vereinbarte Ausgabe

Die Vergabe von nicht rückzahlbaren Zuwendungen gehört zum Kerngeschäft der gemeinnützigen Stiftungen. Die Vergabe ist daran geknüpft, dass die Mittel für konkrete, zuvor vereinbarte gemeinnützige Vorhaben eingesetzt werden und abschließend der Stiftung ein Verwendungsnachweis vorgelegt wird.

Der Nachweis muss belegen, dass die Mittel tatsächlich im Sinne der beschlossenen Vorhaben umgesetzt wurden; ein Nachweis, mit dem die Stiftung wiederum gegenüber den Finanzämtern beweist, dass sie gemeinnützig gefördert hat.

Das Verfahren hat sich über Jahrzehnte bewährt. Es diszipliniert die Antragsteller und die fördernden Stiftungen.

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Es kann keinen Zweifel daran geben, dass jetzt ein europaweites und gut ausgestattetes Förderprogramm sinnvoll ist, welches gerade den EU-Staaten hilft, die am meisten unter den Corona-Auswirkungen leiden.

Doch ebenso sinnvoll ist es, dass dieses Programm dem Titel „Next Generation EU“ auch gerecht wird.

Es ist das Geld der Bürger, daher ist Einmischung erlaubt

Was die Europäische Union in diesen Wochen an Fördermitteln beschließt, müssen die heute jungen Europäer über 30 Jahre lang zurückzahlen. Eine derartige Belastung der nachrückenden Generationen ist nur gerechtfertigt, wenn die Mittel von den Mitgliedsländern zukunftsträchtig eingesetzt werden.

Dazu gehören vor allem Aufwüchse in den Bildungs- und Forschungsetats, Investitionen in Entwicklungs- und Innovationszentren, die Förderung besonders talentierter kreativer junger Europäer in internationalen Exzellenzclustern, der Ausbau digitaler Hochleistungsnetze, die Ertüchtigung umweltverträglicher Infrastruktur, die Maßnahmen zur Klimarettung und zur ökologischen Transformation, bei der Europa noch einen Führungsanspruch anmelden und umsetzen kann.

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Die Verlockung allerdings wird groß sein, Teile des Milliardenpakets stattdessen für schnellen Konsum, Wahlgeschenke oder Rentenerhöhungen einzusetzen, und damit gegen das Gebot der Generationengerechtigkeit zu verstoßen.

Schon erheben sich unter einzelnen europäischen Politikern die Stimmen, dass bloß keine Troika wie in den Jahren nach 2008 über die Vergabe der Mittel entscheiden und wachen solle.

Doch hier sollten die Bürgerinnen und Bürger der EU sich zu Wort melden und deutlich machen, dass sie eine öffentliche Kontrolle der  Mittelverwendung fordern, dass sie ernst nehmen, was  Kommissionspräsidentin von der Leyen in Rom für den Wiederaufbaufonds festlegte: „Unsere heutigen Investitionen müssen Früchte für unsere Kinder tragen.“

Ein Gremium mit 27 Fachleuten sollte über die Ausgaben wachen

Was spricht dagegen, wenn das Europäische Parlament von jedem Mitgliedsland einen Mittelverwendungsplan fordert und ein europäisches Konsortium von 27 Fachleuten, jeweils eine Person aus jedem Mitgliedsland, über den Mitteleinsatz wacht und dem europäischen Parlament halbjährlich über die Mittelverwendung berichtet?

Es wäre doch ein leichtes, wenn diese Sitzung des Parlaments in alle Mitgliedsländer übertragen wird und im Rahmen der so wünschenswerten EU-Transparenz der Bericht des Konsortiums von jedem EU Bürger abgerufen werden kann.

Wäre dies nicht auch ein Beitrag zur größeren Wahrnehmung und Stärkung des Europäischen Parlaments als Vertretung der gesamteuropäischen Interessen und der Kontrolle?

Dieser Vorschlag ist kein Misstrauensvotum gegenüber den europäischen Mitgliedsländern, die sich so gern und schon jetzt vor jeder Einmischung in ihre Verteilungsrechte wehren.

Dieser Vorschlag beruht allein auf der Tatsache, dass wir europäische Bürgerinnen und Bürger gemeinsam diese 500 Milliarden Euro nicht rückzahlbarer Zuwendungen aufbringen, wir damit eine Verpflichtung gegenüber unseren Kindern und Enkeln eingehen und damit eine Verantwortung auf uns laden, der wir als europäische Bürgergesellschaft gerecht werden müssen. Es darf kein Euro versickern!

Die deutsche Ratspräsidentschaft könnte zukunftsweisende Maßstäbe setzen

Noch können wir daran arbeiten, dass in den kommenden einzelstaatlichen Beratungen der Gedanke an die Mittelkontrolle nicht als fürchterliche Belastung, sondern als verantwortungsvolles Mandat des Europäischen Parlaments wahrgenommen wird. Vielleicht können gerade die „sparsamen Vier“ (Österreich, Dänemark, Niederlande und Schweden) hier verantwortungsbewusst vorangehen.

Wir müssen der nachrückenden Generation gerecht werden. Dann kann sich die deutsche Ratspräsidentschaft, die diesen Monat beginnt, auch noch in Jahrzehnten damit rühmen, dass sie 2020 gemeinsam mit allen EU-Staaten zukunftsbewusste Maßstäbe gesetzt hat.

Michael Göring

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