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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) besucht ein Ausbildungsprogramm für ukrainische Soldaten an dem Flugabwehrkanonenpanzer Gepard.

© dpa / Foto: Marcus Brandt/dpa

EU-Waffenexporte in Drittstaaten: Deutschland sollte seine strengeren Regeln durchsetzen

Im neuen Rüstungesexportgesetz darf Berlin nicht auf die wirtschaftlichen Interessen der Nachbarländer Rücksicht nehmen. Ein Gastbeitrag.

Von Michael Brzoska

Eine Grundregel der gemeinsamen europäische Außen- und Sicherheitspolitik ist, dass sie gemeinsam ist, und keine Regierung den anderen diktieren kann, wo es lang geht. Diese Regel gilt allerdings nicht, wenn es um Rüstungsexporte geht. Da entscheidet jeder Staat für sich.

Probleme macht das besonders, wenn an der Herstellung eines Waffensystems zwei oder mehr Staaten beteiligt sind. Das aber ist ökonomisch in der Regel vernünftig und auch bündnispolitisch und operativ sinnvoll. Aber was bedeutet das für die Frage, an wen dieses Waffensystem noch exportiert werden kann?

Im Wirtschaftsministerium wird gegenwärtig an einem Rüstungsexportgesetz gearbeitet, ein Eckpunktepapier ist fertig. Unter anderem will man sich für eine EU-Rüstungsexportverordnung einsetzen, allerdings ohne genauer zu werden, wie die aussehen sollte. Für Gemeinschaftsvorhaben wird vorgeschlagen, die beteiligten Partnerstaaten durch Mehrheitsbeschlüsse entscheiden zu lassen.

Das ist zaghaft, besonders, wenn man in Rechnung stellt, dass die Bundesregierung gerade ein 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr beschlossen hat, das in Rüstungsgüter investiert werden soll. Die damit verbundene wirtschaftliche Potenz auf dem Markt spiegelt das Eckpunktepapier nicht wider. Es nutzt die gute Gelegenheit zur Umsetzung deutscher Politik bei Rüstungsproduktionen mit Partnerstaaten nicht.

Wie viel Streit Rüstungsexporte auslösen können, wurde im Frühjahr 2019 deutlich, als die damalige schwarz-rote Regierung in Berlin beschloss, keine Waffen mehr nach Saudi-Arabien zu liefern – wegen dessen direkter Beteiligung am Krieg im Jemen und der grausigen Ermordung des saudischen Dissidenten Jamal Kashoggi.

Dadurch wurde auch die Zulieferung aus Deutschland stammender Bauteile gestoppt, die über andere Länder nach Saudi-Arabien gehen sollten. Das betraf vor allem gemeinsame Produktion mit Rüstungsfirmen in Frankreich und Großbritannien. Die Regierungen in Paris und London sahen keinen Anlass, die Lieferung zu stoppen – und schäumten. Frankreich drohte sogar damit, die Zusammenarbeit für Vorhaben wie für das zukünftige Luftabwehrsystem FCAS aufzukündigen.

Prinzipiell entscheidet der Staat, in dem die Endfertigung stattfindet, an wen exportiert werden kann. 

Michael Brzoska

Man setzte sich dann aber zusammen. Zwischen Frankreich und Deutschland wurde im Herbst 2019 ein Abkommen über Ausfuhrkontrollen im Rüstungsbereich geschlossen, dem inzwischen auch Spanien beigetreten ist. Zentrale Punkte: Prinzipiell entscheidet der Staat, in dem die Endfertigung stattfindet, an wen exportiert werden kann.

Die anderen Partner akzeptieren das, außer „wenn ihre unmittelbaren Interessen oder ihre nationale Sicherheit“ dadurch beeinträchtigt würden. Das wird im Abkommen ausdrücklich als Ausnahmefall bezeichnet.

Von den Grundsätzen, die sonst für Rüstungsexporte aus Deutschlands gelten, ist die Bundesregierung in dem Abkommen deutlich abgewichen. In den Grundsätzen heißt es noch, dass Rüstungsexporte in Drittstaaten (außerhalb von Nato und EU) grundsätzlich restriktiv gehandhabt werden. Waffenexporte sollen nur im Einzelfall genehmigt werden, wenn „besondere“ außen- oder sicherheitspolitische Interessen Deutschlands dafürsprechen.

Eine Korvette der Deutschen Marine liegt auf der Peene-Werft in Wolgast (Mecklenburg-Vorpommern).
Eine Korvette der Deutschen Marine liegt auf der Peene-Werft in Wolgast (Mecklenburg-Vorpommern).

© dpa / Foto: Stefan Sauer/dpa

Wirtschaftliche Interessen, die häufig bei Partnerstaaten im Vordergrund stehen, reichen nach den deutschen Grundsätzen nicht aus. Und beschäftigungspolitische Gründe gar - die beispielsweise Paris und London gerne anführen - sollen überhaupt keine Rolle bei der Entscheidung über Genehmigungen spielen.

Wenn es um gemeinsame Rüstungsproduktion geht, verzichtet Deutschland de facto auf die Umsetzung seiner Grundsätze. Beispiel Eurofighter: Während Deutschland den Export von Panzern an Saudi-Arabien abgelehnt hat, wurden die deutschen Zulieferungen für die an Saudi-Arabien gelieferten Kampfflugzeuge, die in Großbritannien zusammengebaut wurden, nicht behindert. Auch nach dem Kashoggi-Mord wurden Zulieferungen, anders als direkte Exporte aus Deutschland, nur kurzfristig gestoppt.

Und auch die Regelung, dass Deutschland bei der Beeinträchtigung unmittelbarer Interessen oder der nationalen Sicherheit Genehmigungen versagen kann, könnte noch fallen. So sieht es zumindest Verteidigungsministerin Lambrecht. In einer Grundsatzrede im Frühjahr sagte sie: „Wenn Frankreich, Italien und Spanien sagen, das ist vertretbar, können wir uns dann rausnehmen? Ein Veto einlegen? Ich glaube nein.“ Was bedeuteten europäische Werte, wenn man sage „eure Moral reicht uns nicht?“

Einmal abgesehen von der Frage, ob es hier um Moral geht, sollte gemeinsame europäische Politik nicht bedeuten, dass Deutschland seine Werte unter den Tisch kehrt und die Werte seiner Rüstungsproduktionspartner übernimmt. Durch das Sondervermögen eröffnet sich aktuell die Chance, die deutsche Position einer restriktiven Rüstungsexportpolitik gegenüber Frankreich zu stärken. Das wäre besser, als – wie die Verteidigungsministerin es vorschlägt – sie weiter zu schwächen.

Die Rüstungsindustrie beschäftigt in Frankreich doppelt so viele Menschen wie in Deutschland.

Michael Brzoska

In vielen Bereichen der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik funktioniert die Suche nach Gemeinsamkeiten ganz gut. Im Rüstungsbereich ist das anders. Bemühungen darum, die nationale Entscheidungshoheit über Rüstungsproduktion einschränken und insbesondere Rüstungsexporte durch Europäisierung zu regulieren, stoßen auf starken Widerstand aus Paris. Das hat nicht zuletzt wirtschaftliche Gründe. So beschäftigt die Rüstungsindustrie in Frankreich etwa 200.000 Personen - und in Deutschland nur 100.000.

Das Sondervermögen steigert die wirtschaftliche Potenz des Verteidigungsministeriums außerordentlich. Das Beschaffungsvolumen von gegenwärtig elf Milliarden Euro pro Jahr (einschließlich Forschung und Entwicklung) wird in den nächsten Jahren mehr als verdoppelt, wenn auch nur ein kleiner Teil der Beschaffungen außerhalb des für Großvorhaben bestimmten Sondervermögens finanziert wird.

Zwar wird ein Gutteil in den USA ausgegeben, aber große Summen für europäische Gemeinschaftsvorhaben bleiben. Der europäische Anteil des Beschaffungsvolumens, von dem die Bundesregierung sagt, dass es auch nach Auslaufen des Sondervermögens in fünf Jahren hoch bleiben soll, dürfte in der Zukunft noch weiter steigen, wenn die geplanten gemeinsamen Großvorhaben wie das Luftabwehrsystemen FCAS, das Kampfpanzerprojekt MGCS und die Eurodrohne MALE RPAS realisiert werden.

So wie in der Vergangenheit die Bundesregierung fürchtete, dass Frankreich aus Gemeinschaftsvorhaben aussteigen könnte, sollte sie auf der Umsetzung ihrer Grundsätze zum Rüstungsexport bestehen, muss sich künftig die französische Regierung besorgt fragen, wie sie den reichen Partner Deutschland bei der Stange halten kann.

Die Bundesregierung sollte sich aktiv für eine Änderung der Regeln für den Drittstaaten-Export aus gemeinschaftlicher Rüstungsproduktion einsetzen. Neben der in den Eckpunkten formulierten Option von Mehrheitsentscheidungen gibt es noch andere Varianten, etwa die gemeinsame Beschlussfassung von „weißen Listen“ von Drittstaaten, in die Exporte möglich.

Auf jeden Fall sollte sie die Gunst der Stunde nutzen, den eigenen Werten in der Rüstungsexportpolitik auch in gemeinschaftlichen Produktionen mehr Gewicht zu verschaffen.

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