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Gastkommentar: Europa reagiert falsch auf Obama

Es ist neues Denken gefragt: In den USA sind die alten Kräfte aber noch zu stark.

Präsident Obama hat mit ebenso klaren wie mutigen Zügen sein Land aus der außenpolitischen Isolierung herausgeführt. Damit hat er Ansehen und Gewicht der USA in den internationalen Beziehungen gestärkt. Für uns als Deutsche und Europäer ist das Anlass zu großer Befriedigung. Die USA sind unser engster und stärkster Verbündeter, wir Deutschen verdanken den USA viel.

Die Hinwendung Obamas zu den Vereinten Nationen haben die Handlungsfähigkeit sowohl der UN wie auch der USA deutlich erhöht. Die Öffnung zur islamischen Welt ist ein wichtiger Schritt zur Abwendung eines Kulturkriegs. Obamas Nahostinitiativen können den Weg zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts eröffnen. Hier geht es um das Kernproblem für die Stabilität im nah- und mittelöstlichen Raum. Es hat auch Bedeutung für das Verhältnis des Westens zur islamischen Welt. Für uns Europäer ist besonders der Wille Obamas zur Kooperation mit Russland bedeutsam, das für Amerikaner wie für uns Europäer nicht der natürliche Gegner, sondern der natürliche Partner ist. Obamas Entscheidung zu den Raketenabwehrsystemen in Polen und Tschechien hat ein wichtiges Hindernis aus dem Weg geräumt.

Für die Gestaltung einer neuen, stabilen Weltordnung, die überall als gerecht empfunden werden kann, ist Obamas Entscheidung für eine kooperative Weltordnung der Ebenbürtigen und Gleichberechtigten zentral. Sie bedeutet die Abkehr von der gefährlichen Illusion einer auf Washington fokussierten und von dort dominierten Weltordnung, hin zur Gestaltung einer multipolaren. Die Zustimmung der neuen Administration zur Etablierung der G 20 und zur globalen Klimapolitik kann die Bundeskanzlerin als Bestätigung ihrer schon beim G-8-Treffen in Heiligendamm besonders deutlich gewordenen Bemühungen verbuchen. Obamas Hinwendung zu Europa mit seiner Prager Rede war auch die Absage an die das westliche Bündnis belastende und spaltende Unterscheidung zwischen alten und neuen Europäern durch die Bush-Administration. Der weltweit und auch in den USA von allen Seiten unterstützte Vorschlag Obamas zur völligen Abschaffung der Nuklearwaffen ist ein Schritt von historischer Dimension. Er eröffnet gerade Ländern wie Deutschland zusätzliche Aktionsfelder bei der Einforderung nuklearer Abrüstung.

Das neue Denken und das Herangehen Obamas in diesem Bereich eröffnen nun auch die Chance, zu einer Verständigung mit dem Iran zu kommen. Schwieriger wird es mit Nordkorea sein. Sowohl Russland wie auch China beweisen hier ein hohes Maß an Verantwortung.

Gewiss hat es freundliche Kommentare der europäischen Regierungen zu Obamas Initiativen gegeben, aber eine angemessene Reaktion und Aktivität nicht. Die aber braucht Obama dringend. Die Kräfte alten Denkens in den USA setzen ihm auch im Bereich der Außenpolitik zu. Wobei – Ironie der Geschichte – der Vorwurf mangelnden Erfolges letztlich der Vorwurf ist, die Folgen einer achtjährigen, problematischen US-Außenpolitik nicht in acht Monaten ungeschehen gemacht zu haben. Europa sollte nicht abwarten, sondern Obama unterstützen, auch mit eigenen Vorschlägen.

So braucht die Nato eine neue politische und daraus folgend militärische Strategie – einen Harmel-II-Bericht also. Sie braucht eine neue Strategie für Afghanistan. Fragen über Fragen! Auch zur europäischen Sicherheitsarchitektur. Der KSE-Anpassungsvertrag ist vom Westen noch immer nicht ratifiziert, obwohl er in sich ausgewogen ist und damit zum Vorteil aller Beteiligten. Ihn mit einem Junktim zu belasten, ist eine Art Selbstbestrafung. Neues Denken verlangt auch die Nuklearstrategie des Bündnisses und die Frage der Stationierung von Atomwaffen in Europa. Gerade im Vorfeld der NPT-Überprüfungskonferenz können in diesem Bereich wichtige Schritte zur Stärkung der Glaubwürdigkeit des Vertrages getan werden. Washington hat nicht nur neues Denken gezeigt, es handelt auch so. Wo bleiben die Europäer?

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister.

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