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Meinung: Europa wird kleiner

Der Brüsseler Gipfel scheitert an den nationalen Interessen Polens

Wie weit ist es von Warschau nach Brüssel? Man könnte sagen: Weiter als von Berlin nach Paris. Der Brüsseler EU-Gipfel hat deutlich gemacht, dass Europa noch nicht so zusammengewachsen ist, wie viele das erhofft haben. Vierzehn Jahre nach dem Fall der Mauer ist der Versuch, eine Verfassung für Europa zu verabschieden gescheitert. Und in der EU herrscht zu Recht Krisenstimmung.

Bei dem rasanten Annäherungsprozess zwischen Polen und der Europäischen Union ist offensichtlich eines nicht mitbedacht worden – die polnische Innenpolitik. Premierminister Leszek Miller muss wohl noch „Nizza oder Tod“, den gellenden Schlachtruf aus dem polnischen Parlament, im Ohr gehabt haben, als er sich in Brüssel an den Tisch setzte. Anders lässt sich seine kompromisslose Haltung nicht erklären.

Bei den Verhandlungen mit seinen 24 künftigen EU-Partnern ließ der polnische Regierungschef keinen Zweifel daran, dass seinem Land bei der Machtverteilung eigentlich ein größeres Gewicht gebührt als geplant. Polen hat schnell gelernt, dass es sich auszahlen kann, beim üblichen Brüsseler Poker hoch einzusteigen. Allerdings stimmte schon Millers Begründung für ein größeres Stimmengewicht bedenklich: Mit dem Hinweis auf Polens Geschichte, auf die Unterjochung in den Zeiten des Kommunismus, erhob Warschau Anspruch auf eine Besserstellung in der EU. Nur schien Miller dabei vergessen zu haben, dass es die europäische Einigungsgeschichte ohne guten Willen nicht gegeben hätte. Schließlich gründet sich die Europäische Union auch auf die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich. Doch von Versöhnlichkeit ließ Miller in Brüssel wenig spüren.

Die 25 Regierungschefs dürften Brüssel mit einem mulmigen Gefühl verlassen haben. Denn wenn der Streit um die Stimmengewichtung nun auch im kommenden Jahr schwelt, könnte daran die ganze EU-Verfassung scheitern. In Brüssel sind die Bruchstellen deutlich geworden, die inzwischen das ganze Projekt gefährden.

Das Verfassungswerk, in 16 Monaten mühevoller Arbeit vom EU-Konvent ausgehandelt, droht wieder zerpflückt zu werden – weil sich einfach nicht genügend EU-Staaten dafür in die Bresche werfen. Zu den glühendsten Befürwortern des Konventsentwurfs gehören noch Bundeskanzler Gerhard Schröder und Frankreichs Präsident Jacques Chirac. Sie gehören nach dem Entwurf aber auch zu den Gewinnern. Aber es ist nicht nur Eigeninteresse dabei, wenn Berlin und Paris auf einer Verfassung beharren, die diesen Namen wirklich verdient. Viele von den Kompromissvorschlägen, die an diesem unrühmlichen Gipfel-Wochenende zirkulierten, würden dagegen direkt in die Selbstblockade der Europäischen Union führen.

Bei ihrem Einsatz für das Verfassungsprojekt ist es Schröder und Chirac auch nicht gelungen, Tony Blair auf ihre Seite zu ziehen. Der britische Premierminister beharrt weiter auf seinem Veto in der Außenpolitik, und überhaupt können sich die Briten für das gesamte Verfassungsprojekt nicht sonderlich erwärmen. Vielleicht bleibt Schröder und Chirac im kommenden Jahr doch nur noch ein Ausweg – der nach Kerneuropa. Das hätte zwar nicht 25 Mitglieder, aber einen gemeinsamen Willen.

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