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Was nun? Das urteil des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung stellt Justizminister Heiko Maas (SPD) und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vor Probleme.

© dpa

Europäischer Gerichtshof: Vorratsdatenspeicherung: Neu verhandeln statt abschaffen

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist deutlich, unbequem und klug. Sie zeigt, dass die Vorratsdatenspeicherung neu verhandelt, aber nicht abgeschafft werden sollte. Viel wichtiger aber ist ein anderer Aspekt des Urteils.

Es hätte alles schön einfach sein können. Die Richter des Europäischen Gerichtshofs bestätigen die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung im Grundsatz und mahnen nur ein paar Korrekturen an. Auf die hätten sich alle verständigt und im Sommer wäre ein jahrelanger Streit endgültig Geschichte gewesen.

Jetzt ist alles anders. Und das ist gut so. Die Richter haben ein Urteil zur Vorratsdatenspeicherung gefällt, das unerwartet klar, unbequem – und vor allem klug ist. Mit deutlichen Worten hat das Gericht die bestehende Regelung für ungültig erklärt, ohne dabei die Tür zuzuschlagen und das Instrument in die Mottenkiste der Ermittlungsbehörden zu packen. Im Gegenteil, die Richter haben die Ziele gewürdigt, sie haben dem Instrument zugute gehalten, dass keine Kommunikationsinhalte gespeichert werden, aber sie haben die Gebrauchsanweisung verworfen.

Für die große Koalition birgt das Urteil Sprengkraft. „Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Jetzt aber gibt es keine EU- Richtlinie mehr. Ob es eine neue geben wird, ist offen. Die Grundlage für diesen Teil des Vertrags ist also weg. Vor allem die SPD könnte das in eine schwierige Lage bringen. Dort hat man sich nur mit Mühe auf einen Kompromiss bei der Vorratsdatenspeicherung verständigt und der könnte jetzt wieder infrage gestellt werden. Die Deutlichkeit dieses Urteil wird die Kritiker beflügeln, den großen Kampf noch einmal aufzunehmen.

Die NSA-Affäre hat eine neue Sensibilität geschaffen

Und dabei stoßen sie auf eine andere gesellschaftliche Stimmung als noch in der Post-9/11-Ära. Damals war die Angst vor einem Terrorangriff groß und ihr wurde viel untergeordnet, auch einige Bürger- und Freiheitsrechte. Der große Anschlag blieb bislang aus – auch dank amerikanischer Hilfe und den technischen und juristischen Möglichkeiten der USA. Auch wenn die NSA-Methoden und die Vorratsdatenspeicherung unmittelbar nichts miteinander zu tun haben, gibt es doch eine Art emotionalen Konnex, der eine neue Sensibilität geschaffen hat. Es geht um die Macht über unsere Daten. Persönlich sind nicht mehr nur Gesprächsinhalte. Auch Metadaten zeichnen ein klares Profil und sind somit höchst subjektiv. Sie sagen vielleicht mehr über uns aus als das gesprochene Wort. Genau deshalb sind diese Daten sensibel, schützenswert, verletzlich, aber auch wichtig bei der Aufklärung schwerer Straftaten.

Die Politik ist nun gefordert, umsichtig und in Ruhe auf dieses bahnbrechende Urteil zu reagieren. Ein nationaler Alleingang wäre keine gute Antwort, eine europäische Lösung schon. Aber eben eine Lösung. Denn bei aller Grundsatzkritik: In engen Grenzen hat dieses Instrument seine Berechtigung und kann seine Wirkung entfalten. Das Urteil bietet auch eine Chance über die Vorratsdatenspeicherung hinaus. Weil es die Verhältnismäßigkeit so betont, den hohen Wert der Grundrechte so unterstreicht, kann es verloren gegangenes Vertrauen in die Digitalisierung unserer Gesellschaft wiederherstellen. Persönlichkeitsrechte werden durch wachsende digitale Möglichkeiten nicht zu einer Nebensächlichkeit. Vielmehr müssen sie zur Grundlage für die weitere Entwicklung werden. Es sind auch die Metadaten dieses Urteils, die ihre Wucht entfalten.

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