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FDP unter Westerwelle: Hochnäsig auf dem gelben Wagen

Die Konsequenz, mit der sich Guido Westerwelle in Äußerungen höchst fragwürdiger Sinnhaftigkeit verrennt, hat etwas Beängstigendes. Setzt er seinen Kurs fort, droht er die FDP bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Mai gegen die Wand zu fahren – und Schwarz-Gelb in Berlin gleich mit.

Erst war man nur verblüfft, dann irritiert, aber inzwischen muss man sich ernsthaft fragen: Was ist in Guido Westerwelle gefahren? Dahingestellt sei, ob es so etwas wie die Auseinandersetzung, die er betreibt, noch nie gegeben hat – es hat schon viel gegeben in dieser Republik. Aber die Konsequenz, mit der er sich in Äußerungen höchst fragwürdiger Sinnhaftigkeit verrennt, hat etwas Beängstigendes. Selbst FDP-Sympathisanten weichen vor dem Sendungsbewusstsein zurück, mit dem er eine neue Stunde der Sozialstaatsdebatte verkündet. Merkt er nicht, wie er sich und seiner Partei den Boden unter den Füßen wegzieht? Kaum kommt man noch an dem Eindruck vorbei: Hier ist einer dabei, Amok zu laufen.

Dabei mag es viele Gründe für die Überprüfung der sozialen Verfassung der Republik geben; sie ist im übrigen seit Jahr und Tag im Gange. Aber durch grobschlächtige Ignoranz und rechthaberische Attitüde wird sie nur blockiert. Dass sich hierzulande jemand dafür entschuldigen müsse, dass er von seiner Arbeit „etwas behalten möchte“, ist angesichts der Ungleichgewichte in dieser Gesellschaft – bis in die biedere Formulierung hinein – der pure Zynismus. Und wer mit der Drohung einer „sozialistischen Entwicklung“ herumhantiert, der verrät in einem Land, das ja seine Erfahrung mit einem sehr realen Sozialismus gemacht hat, entweder Ahnunglosigkeit oder Opportunismus, indem er sich leichthin eines Totschlagarguments bedient.

Der programmatische Ansatz der FDP ist ja auch keineswegs abwegig. Man kann wahrhaftig darüber nachdenken, ob eine Steuerentlastung die Wirtschaft wieder in Schwung bringt, um den Problemen, in denen der Sozialstaat steckt, über die Flanke von Produktivität und Effektivität zu Leibe zu rücken. Doch man kann es nicht in der selbstsicheren Überzeugung, dass alle Probleme sich aus einem Punkt kurieren lassen. Das gelingt nur mit Augenmaß und schon gar nicht gegen Adam Riese. Diese Gesellschaft, widersprüchlich und komplex wie sie ist, kann nur graduell bewegt werden. Dabei hat die FDP schon etwas beizusteuern: ihren in der Geschichte dieser Republik bewährten Sinn für das Individuelle und Eigenständige, ihre wendige Offenheit, ihre unheilbar bürgerliche Grundanlage.

Im Moment aber befindet sie sich auf einem gefährlichen, hoch heiklen Weg, und ihr Vorsitzender sitzt peitschenknallend auf dem Kutschbock. Denn die politische Landschaft ist in Bewegung geraten. Setzt Westerwelle seinen Kurs fort, droht er die FDP bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Mai gegen die Wand zu fahren – und die schwarz-gelbe Koalition in Berlin gleich mit. Denn eine schwarz-grüne Option im größten Land der Bundesrepublik, die sich ja in den Kulissen zum Auftritt vorbereitet, würde der bürgerliche Neuanfang im Bund nicht lange überstehen. Dann wären die Tore für grundstürzende Veränderungen weit geöffnet, und in der Republik wären die politischen Winde los.

Noch ist es nicht zu spät, zu einer vernünftigen, Erwartungen und Ängste maßvoll dosierenden Politik zurückzukehren. Ist es der Umfaller-Komplex aus grauen (Mende-)Tagen, der Westerwelle daran hindert? Aber das Umfallen, in Wahrheit: das Wagnis des Umdenkens und Umlenkens, war oft das Beste an der FDP. Es sei denn, der Vorsitzende, der das Verdienst hat, seine Partei aus langer Opposition heraus wieder in die Regierung gebracht zu haben, will ausgerechnet ihren Erzgegnern, den Grünen, den Weg an die Macht öffnen.

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