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Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping antwortet in einem Gastbeitrag auf die Vorwürfe, die Günter Grass gegen Oskar Lafontaine erhebt.

© dpa

Gastbeitrag von Linken-Chefin Katja Kipping: Oskar Lafontaine ist kein Verräter, Herr Grass!

Günter Grass wirft Oskar Lafontaine "schmierigen Verrat" vor, weil er die SPD verlassen hat und jetzt für die Linke Politik macht. Linken-Chefin Katja Kipping hält in einem Gastbeitrag für Tagesspiegel Online dagegen - und macht einen Vorschlag zur Güte.

Neben bewegenden Büchern mit Tiefgang schreibt Günter Grass zum Zeitgeschehen, zuweilen Gedichte aus eigenem Antrieb, zuweilen äußert er sich, ganz unlyrisch, auf Bestellung. Damit muss man leben und es gibt auch wirklich Schlimmeres. Ganz ohne Widerspruch muss jedoch beides nicht bleiben. Im Falle der seiner jüngsten, in der "Süddeutschen Zeitung" zitierten Äußerungen zum Verhältnis zwischen der Linken und der SPD sollte es mir als Vorsitzender der erstgenannten Partei gestattet sein, ein paar Worte zu sagen.

Günter Grass sagt zunächst einmal etwas durchaus richtiges, wenn er meint, SPD und Linken müssten sich einander annähern. Das sagen viele, ohne dass darüber noch allzu ausführlich in der Presse berichtet würde. Hinterher schiebt Grass dann jedoch eine Ansicht, die Spielraum  für verschiedene Vermutungen lässt. Ein "Hemmnis auf dem Weg dahin" sei eine Person: Oskar Lafontaine. Vermutung Nummer eins: Grass liest nur noch sehr selten Zeitung und sieht noch seltener fern. Sonst wäre ihm nämlich nicht entgangen, dass sich Oskar Lafontaine weitgehend aus der Bundespolitik zurückgezogen hat und ihm auch beim schlechtesten Willen nicht mehr der Vorwurf der Strippenzieherei gemacht werden kann. Vermutung Nummer zwei ist wahrscheinlicher: Grass kommt ohne die Personalisierung von Schuld einfach nicht aus. Dass ihm diese Marotte vor einigen Jahren auf die eigenen Füße gefallen ist, ficht den Dichter nicht an.

Oskar Lafontaine wollte sich nicht länger mitschuldig machen

Und so holt er denn auch kräftig aus, wenn er behauptet: "Es gab in der Geschichte der sozialdemokratischen Partei keinen schmierigeren Verrat, wie den von Oskar Lafontaine an seinen Genossen". Gemeint ist damit Oskar Lafontaines Rücktritt von all seinen Ämtern im Jahre 1999 und seine nachfolgende, heftige Kritik am Kurs der Schröder-Regierung. Nein - ich werde jetzt nicht mit all den historischen Beispielen aus dem bewegten Leben der Sozialdemokratie aufwarten, die das Attribut "schmierig" tatsächlich verdient hätten und schon gar nicht werde ich Namen nennen.

Vielmehr frage ich: Ist es wirklich Verrat, gegen eine Parteiführung zu opponieren, die systematisch den Wertekonsens der Partei demontiert? Ist es wirklich Verrat, die existenziellen Interessen seiner Mitglieder und Wähler_innen über die eigene politische Karriere zu stellen? Ist es wirklich Verrat, als Sozialdemokrat gegen die Aushöhlung der sozialen Rechte jener Menschen zu streiten, die den gesellschaftlichen Reichtum schaffen? Ist es wirklich Verrat, Herr Grass, sich einfach nicht länger mitschuldig machen zu wollen?

Ich kann mir das Ausmaß an Verzweiflung vieler linker Sozialdemokrat_innen vorstellen, die Mitglied der SPD geblieben sind und auf bessere Zeiten hoffen, schweigend, schimpfend oder kämpfend. Und ich habe auch Verständnis dafür, dass sie ihrer Partei die Treue halten - denn natürlich ist die SPD auch ein Raum vielfältiger, teils über Generationen gewachsener sozialer Bindungen. Das ist in meiner Partei nicht viel anders. Eine Annäherung wäre womöglich in einzelnen inhaltlichen Projekten gar nicht so schwierig und mir ginge es dabei weniger um Personen als vielmehr um politische Positionen.

Nun werde ich aber Günter Grass vermutlich nicht mehr von seiner Meinung wegbekommen, so dass es auch einer personellen Vorleistung bedürfte, um miteinander ins Reine zu kommen. Deshalb, lieber Herr Grass, nun doch ein namentlicher Vorschlag: Wie wäre es, wenn sich die SPD als Geste guten Willens endlich von Thilo Sarrazin trennt? Das gäbe viel Beifall - und zwar in beiden Parteien!

Katja Kipping

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