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Gastkommentar: Der anhaltend Kalte Krieg …

… um Liebe und Zuneigung: Kinder in der DDR. Warum erziehen viele ihre Kinder in der Demokratie immer noch, wie ihre Eltern sie in einem totalitären Staat erzogen haben?

Der angebliche Schutz der Kinder entsprach im real existierenden Sozialismus nicht der Wirklichkeit. Die Kindheit hatte keinen Schutz, der individuelle Entfaltung ermöglichte, sondern wurde genormt. In Berlin hörte man 1989 viele politische Gedankenspiele. Wie soll die Zukunft von 16 Millionen DDR-Bürgern aussehen? Wie ist die Umgestaltung von einem totalitären System in ein freies, demokratisches System zu bewerkstelligen? Viele meinten, dass die D-Mark und das „Haus Europa“ die Menschen schon verändern würden. Doch nur wenige bezogen die Auswirkungen der staatlichen Erziehung in der DDR mit ein, in der staatskonforme Untertanen herangezogen werden sollten. Die Erziehungswissenschaften hatten einen großen Anteil daran.

Mit diesem Wissen gründeten Anfang 1990 Ärzte, Künstler, Psychologen, Erzieher und andere, die unter diesem Regime gelebt hatten und sich ihrer Kindheit beraubt sahen, Vereine mit Namen wie „Kindheit“ oder „Kinderkunst ohne Führungskreuz“ (genannt nach dem Marionettenkreuz), die sich auch mit den Auswirkungen der DDR-Erziehung beschäftigen. Sie entwickelten Projekte für die Stärkung des Selbstwertgefühls als Voraussetzung für demokratische Gemeinschaftsfähigkeit. Wichtige Zielgruppen waren und sind Ost-Berliner Kinder und Erwachsene.

Leider wurden diese Vereine in den vergangenen knapp 20 Jahren finanziell immer weniger unterstützt und kaum beachtet. Zugleich bemerkten ehemalige staats- und unternehmenskonforme Untertanen, dass sie sich kaum verändern mussten. Sie waren ja schon in der DDR zu Gehorsam, Ordnung, Selbstzurücknahme, Bescheidenheit und Schlichtheit erzogen worden.

Seltsam ist nur, dass diese „Tugenden“ auch heute wieder in den Medien aktuell thematisiert werden, obwohl diese Eigenschaften für ein Kind untypisch sind und schnell zu Missbrauch führen können. Eigenständigen Kindern, die Clara Zetkin 1904 als „Individualitätsprotze“ bezeichnete, wird damit ihr natürliches Selbstbewusstsein genommen. Sie werden zu Produkten gemacht und nicht als handelnde Persönlichkeiten gesehen. Anders bei den einst repräsentierenden Staatskünstlern der DDR; sie durften „Individualitätsprotze“ sein und werden heute nostalgisch als „Kult“ bezeichnet.

Wie auch Kurt Demmler, Liedertexter, Nationalpreisträger und Sänger aus der ehemaligen DDR. Er war spätestens 2002, nach seiner ersten Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern, kein hervorragender Liedtexter mehr, wie ihn viele darstellten, sondern ein „bürgerlicher Krimineller“, wie ihn die DDR-Justiz genannt hätte. Kindesmisshandlung war auch in der DDR strafbar. Bevor sich Demmler 2009 mit Selbstmord der Verantwortung entzog, hörte er sich noch am 3. Februar eine Anklageschrift wegen sexuellen Missbrauchs, diesmal in 212 Fällen, an. Wollte er sich nicht beurteilen lassen oder hatte er ein kleinbürgerliches Weltbild und seine Erziehung aus der DDR in die Demokratie mitgenommen und sah Kinder und Jugendliche ebenfalls als bereits erwachsen an? Anscheinend wurde ihm nicht bewusst, dass sexueller und anderer Missbrauch an Kindern unter 18 Jahren schwere Schäden an Körpern und Seelen zur Folge hat.

Nur wie hätten sich die Opfer gleich offenbaren können, wenn sie von Staats wegen oder Eltern zu Erziehungsobjekten gemacht worden waren und sich noch nicht als selbstbewusste Subjekte wehren konnten? Zwar gab es schon in der DDR Kontrollbesuche der Jugendämter. Individualistische Kinder oder Persönlichkeitsrechte wurden dabei jedoch kaum geschützt und gefördert, ebensowenig wie Behinderte, die meist nicht in die sozialistische Norm passten, außer sie passten sich den autoritären Strukturen an.

Die Generation nach 1989 wollte mehr Pluralität. Aber warum erziehen viele ihre Kinder in der Demokratie immer noch, wie ihre Eltern sie in einem totalitären Staat erzogen haben? Vielleicht würden Bücher wie „Kindesmisshandlung in der DDR“ von Sabine Gries dabei helfen, die Zusammenhänge von Gesellschaft und Kind mehr in den Vordergrund zu stellen. Die weitere öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema ist nötig und soll dazu beitragen, dass kein Kind mehr nur aus Gehorsam handelt und meint, sein Körper gehöre nicht ihm. Aber was sind schon Wünsche, wenn sie von Eltern und Behörden nicht wahrgenommen werden?

Der Autor ist DDR-Bürgerrechtler und lebt in Berlin. Seit 1987 arbeitet er für und mit Kindern. Als Gastdozent unterrichtete er Spiel und Kreativität.

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