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Gastkommentar: Özils Opa war nicht bei der SS

Sympathie für Deutschland ist bei der WM eigentlich aussichtslos. Doch der deutsche Fußball hilft in Israel über die Vergangenheit hinweg.

Die erste Frage, die mir Haim Yavin, der wohl bekannteste Fernsehmoderator Israels, vor dem Spiel Spanien-Deutschland gestellt hatte, lautete: In Anbetracht der so langen Leidensgeschichte der Juden sowohl in Spanien als auch in Deutschland – wem sollten wir Israelis den Einzug in das WM-Finale gönnen?

Diese Frage kam nicht von ungefähr. In einem Land, das nur ein Mal, im Jahr 1970, am WM-Turnier teilnehmen durfte, muss man sich mit einer fremden Mannschaft identifizieren. Da die meisten Israelis keine Fußballexperten sind, greift man zur Geschichte. So gesehen ist es mit der Sympathie für Deutschland bei der WM eigentlich aussichtslos. Die Shoah wiegt ja schwerer als die Pogrome in Russland (was bei dieser WM nicht relevant war) oder die Vertreibung der Juden aus Spanien 1492. Auch konnte ich mich nicht wundern, als eine populäre Fernsehmoderatorin in einem Panel am ersten Abend der WM mich für einen Exoten hielt, da ich als Fan der deutschen Elf bekannt bin, wo ja „alle die Deutschen hassen“.

Sie hätte es besser wissen sollen: Erstens beweisen repräsentative Umfragen, dass in den letzten Jahren 70 bis 80 Prozent der Israelis der Meinung sind, dass Deutschland heute ein „anderes Deutschland“ ist und gehen von einer „normalen Beziehung“ zu Deutschland aus. Zweitens hat eine Umfrage bereits im Jahr 2006 ergeben, dass 60 Prozent der Israelis die Austragung der WM in Deutschland ohne Bedenken akzeptierten. Die NS-Vergangenheit spielte nur bei weniger als einem Fünftel der jüdischen Israelis eine Rolle. Als die damalige Klinsmann-Truppe attraktiven Fußball spielte, waren die Israelis (bis auf einige Betonköpfe) bekehrt: Diese Spielweise zeigt – es gibt tatsächlich ein „anderes Deutschland“.

Kurz vor dem Halbfinale gegen Spanien kam nun die ultimative Bestätigung. Die anerkannteste Demoskopin Israels veröffentlichte die Ergebnisse einer Meinungsumfrage: 30,5 Prozent der israelischen Männer (Fußball ist in Israel leider eine reine Männersache) erhofften sich einen deutschen WM-Sieg. Die in Israel so populären Holländer (auch vor dem Hintergrund des israelischen Verständnisses von der Rolle Hollands im 2. Weltkrieg) haben weniger als ein Prozent mehr Unterstützung bekommen (31,2). Für die Spanier waren 23 und für Uruguay 8. Die Israelis sehen Woche für Woche Direktübertragungen der Bundesliga-Spiele und waren vom Auftritt der deutschen Elf gegen Australien, England und Argentinien begeistert (obwohl die Sympathiewerte für Argentinien am Anfang die höchsten waren).

Die Tatsache, dass in der deutschen Mannschaft viele Spieler mit Migrationshintergrund zu finden sind, trägt ebenfalls zur Sympathie für die deutsche Mannschaft, ja für Deutschland, bei. Oft wiederholt sich der Hinweis, dass etwa Özils Großvater aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bei der SS war. Selbstverständlich bereitet das Immigrationsland Deutschland für viele israelische Rassisten ein Problem. Denen fällt es schwer, „Nicht-Arier“ als echte Deutsche wahrzunehmen.

Israelis machen sich ein neues Bild von Deutschland, wenn sie deutsche Filme sehen, Bücher deutscher Autoren lesen, Berlin besuchen oder die politische Haltung Deutschlands gegenüber Israel mit der von anderen Nationen vergleichen. Besonders effektiv aber wirkt der populäre Fußball.

Die Niederlage gegen Spanien, und vor allem der ängstliche Auftritt der deutschen Mannschaft in diesem Halbfinalspiel, war allerdings ein Rückschlag für das Projekt Vergangenheitsbewältigung und Image-Aufpolierung, nicht nur, weil Deutschland nicht im Endspiel steht. Man kann nur hoffen, dass sich die deutschen Fußballspieler bewusst sind, welche Last auf ihren Beinen im „kleinen Finale“ am Samstag liegt. Ein aggressiver, torreicher Fußball wird bei den historisch-bewussten Israelis den endgültig positiven Gesamteindruck vom „anderen Deutschland“ garantieren.

Der Autor ist Historiker und lehrt an der Hebräischen

Universität in Jerusalem.

Moshe Zimmermann

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