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© promo

Gastkommentar: Sehr geehrte Frau Steinbach

Ein offener Brief an die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen.

Vor uns liegt das Weihnachtsfest, das Ihnen hoffentlich einige Tage der Muße und Ruhe beschert – Zeit zum Innehalten und zum Nachdenken.

Ich möchte Sie sehr herzlich bitten, sehr geehrte Frau Steinbach, an diesen Tagen auch Ihre Position hinsichtlich Ihres eventuellen Sitzes im Beirat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung zu überdenken. Das Letzte, was Sie in diesem Zusammenhang verlautbaren ließen, war Ihre Aussage, dann könnten Sie „auch gleich als Präsidentin des Bundes der Vertriebenen zurücktreten“.

Wir wissen, Frau Präsidentin, dass dieses Junktim nicht besteht. Es geht um etwas anderes: Sie haben in den vergangenen Monaten und Jahren mit dem, was Sie und vor allem wie Sie es gesagt haben, zwischen sich, Ihrem Verband und den Menschen in Polen eine hohe – derzeit unüberwindbare – Mauer aufgerichtet. Diese Mauer wird umso unüberwindbarer bleiben, je länger Sie auf Ihrer Haltung beharren.

Erinnern wir uns: Nach schwierigen Jahren des Ankommens, des Angenommenwerdens und des Etablierens machten sich zu Beginn der 70er Jahre erste Gruppen von Vertriebenen auf, ihre ehemalige Heimat in Polen zu besuchen: Ich habe dies als junger Freiwilliger der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste in Danzig und in der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Stutthof oft erlebt und beobachtet.

Diese Menschen kamen mit Schmerz über den großen Verlust und voller Sehnsucht nach der Luft, nach den Gerüchen der Heimat, den Bildern der Vergangenheit, der Kindheit. Und nun trafen sie in ihren ehemaligen Häusern, Höfen und Dörfern auch auf Vertriebene – polnische Familien, die ihre Heimat im Osten Polens im Ergebnis des 2. Weltkrieges hatten verlassen müssen. Zwischen den Menschen entstanden Verständnis und Vertrauen, manchmal sogar Freundschaften. Hierzu hat Marion Gräfin Dönhoff, die wir gerade auch in dieser Debatte schmerzhaft vermissen, ihren historischen Beitrag geleistet. Sie hat den auf immer schmerzenden Verlust der Heimat mit allen Implikationen immer wieder thematisiert. Sie hat vor allem Ursache und Wirkung benannt und aus der Erkenntnis der Hitler’schen Verbrechen und aus dem Schmerz des Heimatverlustes die Kraft gefunden, Tore in die hohen Mauern zwischen Deutschen und Polen zu setzen und diese Tore weit aufzustoßen. An dieser Sisyphusarbeit, die bis heute andauert, waren auch Mitglieder der Union, etwa beim Verfassen der so wichtigen EKD-„Ostdenkschrift“ im Jahre 1965, beteiligt. Und viel verdanken wir dem Briefwechsel zwischen den polnischen und deutschen Bischöfen, ebenfalls im Jahre 1965.

In der Folge dieser wichtigen Schritte haben sich sowohl in der damaligen Bundesrepublik wie auch in der DDR zahlreiche Gruppen gebildet, die für die Anerkennung der polnischen Westgrenze und für ein neues Verhältnis zu Polen eintraten: Menschen, die den polnischen Nachbarn kennenlernen, jahrhundertealte Vorurteile überwinden wollten. Diese Gruppen waren in den Kirchen beheimatet, bei den Landesjugendringen, in den Schulen, in allen Parteien und bei den Deutsch-Polnischen Gesellschaften.

Sicher sind wir uns, sehr geehrte Frau Steinbach, darin einig, dass das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen eines der wichtigsten Themen der Deutschen bleibt, eine Visitenkarte unserer Republik. Gerade deshalb ist es mir so wichtig, dass Sie zu einer Geste des Rückzugs und damit der Größe bereit sind.

Derzeit wird durch den von Ihnen transportierten auf Ihre Person bezogenen Alleinvertretungsanspruch das deutsch-polnische Verhältnis mit einem eisigen, winterlichen Schleier überzogen.

Es findet sich, geehrte Frau Präsidentin, in einem wunderbaren Gedicht Ihres Frankfurter Mitbewohners Clemens von Brentano die Zeile „Träumt das starre Erz, gar linde taue es“: Ich wünsche mir, dass Sie in diesen Weihnachtstagen zu träumen beginnen, wie Sie am besten das deutsch-polnische Verhältnis befördern könnten. Und übrigens: Das Gedicht Brentanos endet mit den bewegenden Zeilen „Weh ohn Opfer gehn die süßen Wunder, gehn die armen Herzen einsam unter.“

Wobei ich mir sicher bin, dass mit den „armen Herzen“ wir alle gemeint sind.

Deutsche und Polen brauchen einander, Geschichte in Ursache und Wirkung zu benennen, und Deutsche und Polen selbstbewusst und einander zugeneigt in einem gemeinsamen Europa: Das war die Quintessenz dessen, was mir mein Vater als Vermächtnis hinterlassen hat. Er starb 1982, und er stammte aus Danzig.

Ich sende Ihnen gesegnete Weihnachtsgrüße

Der Autor war Polen-Referent der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, Mitbegründer der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz und lebt als Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees in Berlin.

Christoph Heubner

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