zum Hauptinhalt
Die Forderung "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" ist nicht neu - aber noch immer aktuell.

© dpa

Gastkommentar: Von wegen gleicher Lohn!

Die Schlagzeile, dass Frauen doch fast so viel wie Männer verdienen, entspricht nicht der Realität. Es gilt immer noch: Der Heiratsmarkt ist für Frauen lukrativer als der Arbeitsmarkt.

Na prima – endlich eine gute Nachricht. Dachten wir doch, Frauen verdienten viel weniger als Männer, nämlich 23 Prozent, wie das Statistische Bundesamt für Westdeutschland errechnet hat. Und nun die Schlagzeile: Frauen verdienen doch fast so viel wie Männer. Das hat das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) herausgefunden. Nur vier Prozent verdienen Frauen weniger, heißt es, wenn ihre Erwerbsunterbrechungen nicht zu lang ausfallen.

Michael Hüther, Direktor des Kölner Instituts, ist zufrieden. „Dieses Ergebnis entkrampft die Debatte“, sagt er. Ach, schön wär’s. Auf der Schwelle zur tollen Jahreszeit haben wir es mit einem rheinischen Taschenspielertrick zu tun. Man muss nur mal schauen, wie diese Statistiker den Lohnabstand von 23 auf nur noch vier Prozent herunterrechnen. Für Frauen wird einfach die gleiche Qualifikation zugrunde gelegt wie für Männer. Die gleiche Berufserfahrung, die gleichen Arbeitszeiten, die Beschäftigung in exakt denselben Branchen. Siehe da, es bleibt eine Differenz im Stundenlohn von acht Prozent.

Es geht sogar noch besser. Das Institut nimmt an, dass Frauen im Schnitt ihre Erwerbstätigkeit nur 1,5 Jahre für die Erziehung von Kindern oder die Pflege von Älteren unterbrechen. Fertig. Der Stein des Anstoßes hat nur noch die Größe von vier Prozent und ist mit bloßem Auge nur von jenen erkennbar, die Verkrampfung in die Debatte bringen wollen.

Nur, die Männer sind real, die Statistik-Frauen sind fiktiv. Frauen sind zwar viel häufiger erwerbstätig als früher, aber die Quote der in Vollzeit berufstätigen Frauen ist von 1985 bis 2007 zurückgegangen – von 30 auf 28 Prozent aller erwerbstätigen Frauen. Frauen arbeiten mehr als dreimal so häufig in Teilzeit wie Männer. Und das auch noch in Kleinst-Teilzeit. Diese bringt kaum Geld, verhindert jeden Aufstieg und führt nie zurück zu 80 Prozent oder zur Vollzeitarbeit.

Dazu kommen die anderen Faktoren, die ausgeblendet werden beim Feilen an der Differenz. Frauen arbeiten eher in Berufen, die als Frauenberufe gelten und daher schlechter entlohnt werden: in der Bildung, dem Gesundheitswesen, der Pflege, im Service. Frauen machen real viel längere Pausen als die Männer, weil es im Westen nur für 15 Prozent ihrer Kinder unter drei Jahren einen Betreuungsplatz gibt. Die Öffnungszeiten der Kindergärten passen nicht zu einer Vollzeiterwerbsarbeit, die der Schulen noch weniger.

Kleine Teilzeit, geringer entlohnte Berufe, strukturell erzwungene Pausen – all das heißt: weniger Aufstiegschancen, geringere Erwerbszeiten, weniger Lohn im Laufe der Jahrzehnte. Denn die entscheidende Größe ist das Erwerbseinkommen im gesamten Lebensverlauf. Wenn man so rechnet, liegt das monatliche Einkommen von Frauen im Schnitt weit unter der Hälfte dessen, was Männer im Monat verdienen. Die Differenz ist nicht kleiner, sondern eher doppelt so hoch wie die oft zitierten 23 Prozent. Das deutet eine Größe, die die Lebensjahrzehnte abbildet: die Höhe der Rente aus eigener Erwerbsarbeit. 2009 lag diese in Westdeutschland bei im Schnitt bei 354 Euro. Die aus der Erwerbstätigkeit des Mannes abgeleitete Witwenrente lag dort bei 564 Euro im Monat. Der Heiratsmarkt ist also immer noch lohnender für westdeutsche Frauen als der Arbeitsmarkt. Mit dem neuen Versorgungsrecht wird selbst der Heiratsmarkt zusammenbrechen, und noch mehr Frauen werden auf Sozialgeld angewiesen sein.

Die Nachricht von der fast erreichten Lohngleichheit ist eine Ente. Was wir brauchen – und das sagt Hüther genauso, ohne damit groß zitiert zu werden –, ist eine gute Betreuungsinfrastruktur, die Frauen die Wahl lässt, Betriebe, die Beruf und Familie vereinbar machen und Pausen nicht sanktionieren, und eine Kultur, die Arbeit zwischen den Geschlechtern gleichgewichtiger verteilt. Erst wenn das erreicht ist, wäre eine Jubel-Schlagzeile berechtigt.

Die Autorin ist Soziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false