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Daten, Pleiten, Pannen: Geld ist Luft

Um 50 Milliarden Dollar soll der Chef eines der größten Handelshäuser an der Technologiebörse Nasdaq Anleger betrogen haben. Das wäre neuer Rekord. Gleichzeitig wird mit unseren Kundendaten immer öfter Schindluder getrieben. Rüdiger Schaper über einen radikalen wirtschaftlichen Klimawandel.

Erinnert sich noch jemand an Jérôme Kerviel? Nein? Der junge Mann hat seine Firma um rund fünf Milliarden Euro erleichtert. Er war ein eher kleiner Angestellter und verpulverte – offenbar ohne jede Kontrolle – das große Geld. Der Kerviel-Skandal bei der Société Générale erschütterte die Finanzwelt. Das war im Januar, und es war nur der Anfang.

Fünf Milliarden Euro: Darüber kann man heute, da das annus horribilis 2008 zur Neige geht und mit ihm die Märkte, die Wirtschaft und die Konjunktur, nur lachen. Ende dieser Woche wurde Bernard L. Madoff, einer der namhaftesten Manager der Wall Street, festgenommen. Um 50 Milliarden Dollar soll der Chef eines der größten Handelshäuser an der Technologiebörse Nasdaq Anleger betrogen haben. Das wäre neuer Rekord, freilich ohne Gewähr. Niemand kann sagen, ob und wann die Madoff-Marke getoppt wird. Wer glaubt bei Kerviel und Madoff noch an Einzelfälle? Und Hilmar Kopper hatte doch recht, als er 50 Millionen Mark Verlust als „Peanuts“ bezeichnete. Das war 1994. Der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank löste mit dem „Unwort des Jahres“ einen Sturm der Entrüstung aus.

Gemessen an den neuen gigantischen Betrügereien waren das noch gute Nachrichten. 50 Millionen Mark, 5 Milliarden Euro: lächerlich, in der Tat. Denn nicht nur die Wirtschaftskriminalität, sondern auch die Wut und die Angst der Menschen, die um einen 10.000-Euro-Kredit bei ihrer Bank auf Knien betteln müssen, erleben eine unvorstellbare Inflation. Welchen Wert hat öffentliche Empörung in diesen Zeiten – und was zählt überhaupt noch die Politik? Man spürt eine Ohnmacht wie bei Naturkatastrophen. Ein radikaler wirtschaftlicher Klimawandel geht vonstatten, der dieselben Ursachen hat wie die Erderwärmung: Gier und Verantwortungslosigkeit, Blindheit und Dummheit, als gäbe es kein Morgen.

Luftbuchungen in Milliardenhöhe sind nur die eine Seite der entwerteten Medaille. Die andere sind die persönlichen Daten. Während die Politiker über die Grenzen des Überwachungsstaats und verschärfte Sicherheitsmaßnahmen (Nacktscanning, Online-Durchsuchung usw.) debattieren, nehmen kriminelle Energie und Erfindungsreichtum auf diesem Gebiet ständig zu. Gestern der Diebstahl von Millionen Kundendaten bei der Deutschen Telekom, heute die Verschiebung von detaillierten Adressen, Geheimnummern und Überweisungsdaten, die zehntausende Kunden der Landesbank Berlin betreffen. Und das zur Weihnachtszeit, da man kaufen, kaufen, kaufen und die Nachfrage ankurbeln soll. Da hat man jetzt schlechte Karten.

Schon ist der „gläserne Mensch“ kaum mehr eine Schreckensvision, sondern Realität. Jedenfalls für Betrüger und Fälscher. Der Konsument als PIN-Wand, und jeder, der’s versteht, kann sich bedienen. Für dieses Paket vertrauenserschütternder Neuigkeiten ist der Begriff Verunsicherung ein Euphemismus. Was einen irre macht, liegt ja nicht in der Summe der Skandale und Betrugsfälle, sondern vielmehr in der Beschleunigung dieses Schreckensszenarios. Im nächsten Jahr ist Bundestagswahlkampf. An Themen wird es da nicht fehlen.

Es ist, als säße man in einem Auto, das immer schneller und leiser fährt und dank des technischen Fortschritts auch immer sicherer geworden ist. Aber dann fällt der Bordcomputer aus. Die Bremsen versagen – und das Gaspedal klemmt.

Rüdiger Schaper

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