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Von Sven Goldmann: Hoffenheim, im Dezember

Erst hat der kleine neue Bundesligaclub viele zur Kritik gereizt. Jetzt plötzlich schwärmt das ganze Land von ihm – warum bloß?

Hoffenheim ist auch nicht mehr, was es einmal war. Zum Beispiel am Bahnhof. Legionen von Reportern sind in den vergangenen Monaten in das Elsenztal gereist, um das Fußballwunder von Hoffenheim zu bestaunen, und alle notierten sie entzückt, wie der Bahnhofsvorsteher die Schranke mit der Hand nach oben kurbelte. Das ist ja noch ein richtiges Dorf! Als aber in der vergangenen Woche die Weltpresse nach Hoffenheim kam, suchte sie vergeblich nach dem Schrankenwärter. Die Deutsche Bahn hat die Strecke zwischen Heidelberg und Heilbronn elektrifiziert und das schöne alte Stellwerk abgerissen. Da war die Weltpresse schon ein bisschen enttäuscht.

Alles wird schneller, auch und erst recht Hoffenheim, wo sie den schnellsten Fußball spielen, den Deutschland zu bieten hat. Vor zwei Jahren hat der Dorfverein noch in der dritten Liga gespielt, jetzt steht er in der Bundesliga vorn. Sollten die Hoffenheimer am heutigen Sonntag das letzte Hinrundenspiel gegen den FC Schalke 04 nicht verlieren, gehen sie als Tabellenführer in die Winterpause.

Für diese Tabellenführung hat der Sportjargon den Begriff „Herbstmeister“ kreiert. Es ist statistisch erwiesen, dass der Herbstmeister eigentlich nie richtiger Meister wird, es sei denn, er heißt Bayern München. Aber die Bayern werden ohnehin fast immer Meister, alle paar Jahre gönnen sie sich eine Pause, dann geht der Titel nach Stuttgart, Bremen oder Dortmund, aber nie nach Schalke oder Leverkusen. Dieses Muster hat der Bundesliga eine gewisse Langeweile beschert. Bis zu diesem Hoffenheimer Herbst 2008.

Der Hochgeschwindigkeitstrainingsplatz der TSG 1899 Hoffenheim liegt immer noch am Ende des Dorfes, gleich neben der Tankstelle, die es zu einiger Berühmtheit gebracht hat, weil man dort neben Benzin und Diesel auch Eintrittskarten und Fantrikots kaufen kann. Demba Ba fährt vor und stellt seinen Wagen auf dem Parkplatz neben der Tankstelle ab. Der Stürmer aus dem Senegal ist 189 Zentimeter lang und wirkt schmal wie eine Bohnenstange, aber auf dem Platz schiebt ihn so leicht keiner zur Seite. Sieben Tore hat er in dieser Saison schon erzielt, er will der beste Stürmer der Bundesliga werden und fährt immer noch einen Mini-Cooper. Man fragt sich, wie er seinen 189 Zentimeter langen Körper in das kleine Auto zwängt, aber bei Leuten wie Demba Ba fragt man sich ohnehin einiges, da ist die Sache mit dem Mini nebensächlich.

Es sind Fußballspieler wie Demba Ba und Vedad Ibisevic, denen Hoffenheim den Aufschwung verdankt. Männer, die vor zwei Jahren in Deutschland so gut wie niemand kannte. Als Ba vor gut einem Jahr aus Belgien nach Hoffenheim kam, stand die Fortsetzung seiner Karriere nach einem Schien- und Wadenbeinbruch infrage. Und über den Bosnier Ibisevic spotteten die Zeitungen in seiner Zeit bei Alemannia Aachen: „Man weiß noch nicht mal, in welcher Sportart der unterwegs ist.“ Im Herbst 2008 ist Ibisevic mit 18 Toren in 16 Spielen der erfolgreichste Stürmer der Bundesliga.

Im Sommer noch ist Hoffenheim misstrauisch beäugt worden als Spekulationsmodell des Software-Milliardärs Dietmar Hopp. Der mit Hopps Geld gepäppelte Klub war die Verkörperung des Bösen, er stand für Plastikfußball, Eventfans und den endgültigen Sieg des Kommerz über die Leidenschaft. Im Dezember nun redet kaum noch jemand von Hopp und seinen Millionen. Hoffenheim ist der Liebling der Intellektuellen, und das ganze Land schwärmt von dem mitreißenden Angriffsfußball, zu dem Ba, Ibisevic und Co. von ihrem Trainer Ralf Rangnick angestiftet werden.

Jedes der bislang sieben Heimspiele in der Bundesliga war ausverkauft. Die Hoffenheimer Fans sind Eventfans, die diesem negativ besetzten Begriff einen neuen Sinn geben. Sie gehen nicht ins Stadion, um Champagner zu trinken oder bei Geschäftspartnern zu antichambrieren. Sie wollen das Event Fußball genießen. 90 Minuten lang stürmen – das klingt einfach und ist doch unendlich schwierig. Der Hoffenheimer Stil verlangt höchstes Tempo nicht nur in den Beinen, sondern auch in den Köpfen. Weil das System nur funktioniert, wenn vom Torhüter bis zum Mittelstürmer alle elf Elemente ineinandergreifen, setzt es ein Höchstmaß an taktischer Disziplin voraus – und befreit doch das Spiel von jenen taktischen Fesseln, die das Nichtfachpublikum zu Tode langweilen. Fußball, wie ihn Hoffenheim spielt, spricht auch ein Publikum an, das es eher mit „Sex and the City“ hält.

Der schöne Hoffenheimer Fußball ist eine schwer zu greifende Erscheinung. „Das mag ja auf dem Platz alles ganz einfach aussehen“, sagt der Mittelfeldspieler Sejad Salihovic, „aber wir arbeiten im Training verdammt hart dafür.“ Mit seltsamen Übungen, Rangnick nennt Sie „Banane“ oder „Streifen“, weil sich die Spieler auf einem bananen- oder streifengroßen Areal drängen, das in einen originalgroßen Strafraum mündet. Erlaubt sind höchsten drei Ballberührungen. Rückpässe sind verboten und Querpässe nur erlaubt, wenn sich dadurch die Gasse öffnet zu einem noch besseren Pass in die Tiefe. Auf dem Fußballplatz ist Schönheit nicht angeboren, man kann sie lernen.

„Wir hatten nur diese eine Chance, die Leute über unseren Fußball zu erreichen“, sagt Jan Schindelmeiser. Er ist als Manager eine Art Mastermind hinter der Hoffenheimer Erfolgsstory. Ein unscheinbarer und mit branchenunüblicher Bescheidenheit gesegneter Mann, der den Kaffee für seine Besucher selbst kocht und nach zweieinhalb Hoffenheimer Jahren immer noch im Trainingszentrum neben der Tankstelle wohnt, weil sich keine Zeit findet zum Suchen einer Wohnung. Schindelmeiser hat genug damit zu tun, zur Zusammenstellung der Mannschaft um die halbe Welt zu fliegen, und er achtet dabei nicht nur auf die sportliche Qualifikation. „Gute Fußballspieler helfen nicht, wenn es charakterlich nicht passt“, sagt Schindelmeiser und dass die elf besten Spieler nicht immer die beste Elf ergeben. Mit Spielern wie dem Fast-Invaliden Demba Ba und dem in Aachen ausgelachten Vedad Ibisevic kämen sie der Legende von den elf Freunden schon sehr nahe.

Vor einer Woche hätten die elf Freunde um ein Haar das Allerheiligste gestürmt: die Arena der großen Bayern. Es war die Vorfreude auf dieses Gipfeltreffen, die Anfang Dezember die Weltpresse nach Hoffenheim gelockt hatte. 200 000 Kartenwünsche lagen vor, und schon Stunden vor dem Spiel standen Parteigänger in Münchner Kluft am U-Bahnhof vor dem Stadion und boten auf Plakaten um die letzten Karten. Die Bayern gewannen knapp und mit einigem Glück 2:1, das Siegtor erzielte der Italiener Luca Toni in der Nachspielzeit, und ganz Deutschland litt mit den Dörflern.

Spätestens mit dieser vorweihnachtlichen Niederlage sind die Hoffenheimer angekommen in den Herzen der Menschen. Von wegen seelenloses Kommerzprojekt – „quer durch die Republik hat sich nach Tonis Todesstoß ein geballtes Mitleid mit der Rangnickschen Rasselbande breit gemacht, wie wir es sonst nur bei mutterlosen Robbenbabys erleben“, kommentierte die „Welt“. Ein paar Tage später fragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa die Deutschen, wem sie denn den Titel gönnen würden. 63 Prozent votierten für Hoffenheim, nur 17 für den FC Bayern. Das ist schon fast eine Kulturrevolution, sie rüttelt an den Grundfesten des deutschen Fußballs, nach denen in der Bundesliga 18 Mannschaften um die Meisterschaft spielen und am Ende immer die Bayern gewinnen.

Bayerns Manager Uli Hoeneß hat diese Entwicklung längst erkannt und entsprechend gegengesteuert. Zunächst mit sanften rhetorischen Hieben gegen diesen neuen Konkurrenten, „der übrigens mehr Geld zahlt, als sie alle rumerzählen“. Er hat versucht, den Hoffenheimern ihren Kunstschützen Sejad Salihovic auszuspannen, aber der ließ über seinen Berater ausrichten, er habe kein Interesse an einem Gespräch mit dem Herrn Hoeneß und unterschrieb am nächsten Tag einen neuen Vertrag in Hoffenheim. Und als die Provinzler im dramatischen Gipfel von München zeigten, wie gefährlich nah sie dem Branchenführer inzwischen gekommen sind, da ging Hoeneß zum offenen Angriff über.

Noch in den Katakomben des Stadions blaffte er Hoffenheims Nachwuchskoordinator Bernhard Peters an. Peters hat später ein Gedächtnisprotokoll der nächtlichen Tirade erstellt: „Das ist eine unglaubliche Sauerei, was ihr da macht! So eine linke Schauspieltruppe, Rangnicks linke Schauspieltruppe!“ Zwei Tage später trat Hoeneß in einer Fernsehdiskussion weiter nach, direkt und gezielt gegen Ralf Rangnick, von dem bekannt ist, dass er auf Kritik schon mal sehr aufbrausend reagiert. Also sprach Hoeneß: „Wenn ich bei der Entwicklung von Hoffenheim, die ich sehr positiv sehe, mir überhaupt eine Sorge machen würde, dann ist es die Besserwisserei von Ralf Rangnick, der sich die ganze Woche geoutet hat als einer, der alles besser weiß.“ Und: „Bisher hat Rangnick in seiner Karriere im ersten Jahr super Leistung gebracht, und ein Jahr später war er entlassen.“

Rangnick sagt, dass er dazu lieber gar nichts sagt. Seine Hoffenheimer Kollegen nehmen die Münchner Attacken eher amüsiert denn interessiert zur Kenntnis. Hoppla, die nehmen uns ja richtig ernst. Was müssen die für eine Angst vor uns haben, wenn sie zu solchen Mitteln greifen. Und: Glauben die wirklich, wir gehen darauf ein? Wie früher die Kölner, Leverkusener, Bremer, Dortmunder?

Die Bayern sagen in diesen Tagen verdächtig oft, die Tabelle nach der Hälfte der Saison würde sie nicht weiter interessieren. Für den Fall, dass es für den Meister und haushohen Titelfavoriten nur zu Platz zwei hinter dem Dorf reicht, hat Uli Hoeneß schon mal vorgebaut mit dem Verweis auf die Münchner Belastung in der Champions League. Der FC Bayern musste am Mittwoch in Lyon spielen, „und was macht Hoffenheim? Die ruhen sich die ganze Woche auf der Couch aus und spielen am Wochenende gegen Schalke“. Darüber haben sie in Hoffenheim herzlich gelacht. Und überlegt, ob sie für den Mittwoch um des sportlichen Ausgleichs willen vielleicht ein Freundschaftsspiel vereinbaren sollten. Oder besser ein XXXL-Sofa kaufen, auf dem sie alle nebeneinander das Münchner Spiel in Lyon anschauen könnten. Dann haben sie den Mittwoch lieber dazu genutzt, einen ersten richtigen Star ins Dorf zu holen.

Ein Hauch von Weihnachtsschnee liegt auf den Dächern Hoffenheims, als Timo Hildebrand seinen Wagen neben Demba Bas Mini auf dem Parkplatz neben der Tankstelle abstellt. Timo Hildebrand zählte bis kurz vor der Europameisterschaft zur deutschen Nationalmannschaft. Im Sommer 2007 ist er mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meister geworden und gleich darauf nach Valencia gegangen, wo er erst böse abstürzte und später auch seinen Platz in der Nationalmannschaft verlor. Elf Kameras warten auf ihn. Hildebrand sagt ein paar nette Sätze. Dass er sich allein aus sportlichen Gründen für Hoffenheim entschieden habe, „wenn es mir ums Geld gegangen wäre, hätte ich woanders hingehen müssen“.

Timo Hildebrand wird erst im neuen Jahr eingreifen, aber er wird am Sonntagabend auf der Tribüne sitzen, wenn die neuen Kollegen das alte Jahr ausklingen lassen. Sollten sie gegen Schalke nicht verlieren, werden sie Uli Hoeneß die Tabelle hübsch weihnachtlich verpackt nach München schicken. Die Kulturrevolution geht weiter.

Für Hoffenheim ist das Spiel gegen Schalke der Abschied aus dem Übergangsquartier in Mannheim, wo der Aufsteiger von sieben Heimspielen sechs gewonnen hat. Die Mannschaft aus dem Dorf, das mal einen kurbelnden Schrankenwärter hatte, zieht um. Nach Sinsheim, wo Dietmar Hopp für 60 Millionen Euro ein neues Stadion auf die Wiese neben der Autobahn gesetzt hat, mit einer wolkenähnlichen Dachkonstruktion und einer Fassade aus Glas und Stahl und Tribünen so steil, wie es der Statiker gerade noch zulässt. Ab 2009 wird Deutschlands jüngster Erstligist in Deutschlands modernstem Stadion spielen.

Hoffenheim ist auch nicht mehr, was es einmal war.

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