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HU-Präsident: Mit Vergangenheit

Kaum war der neue Präsident der Humboldt-Universität gewählt, wurde seine charakterliche Eignung bezweifelt – wegen der Habilitation, die Olbertz 1989 in der DDR vorgelegt hat. Kann er für das Amt der Richtige sein?

Was denn die Humboldt-Universität von ihm lernen könne, wurde der neue Präsident nach der Wahl gefragt. Ein bisschen Selbstgewissheit, sagte da Jan-Hendrik Olbertz.

Die Selbstgewissheit ist erst einmal dahin, jedenfalls bei den Humboldts, die doch so gerne wieder ehrwürdig wären, aber auch ein bisschen bei all jenen, die dachten oder hofften, dass die Beschäftigung mit dem politischen System der DDR und die Beurteilung der darin handelnden Personen zwanzig Jahre nach der Wende weitgehend geregelten Kriterien folgt. Denn kaum war der neue Präsident gewählt, wurde seine charakterliche Eignung für das Amt bezweifelt – wegen der Habilitation, die Olbertz 1989 in der DDR vorgelegt hat. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk bezeichnete die Schrift bei einer Tagung des SED-Forschungsverbundes der konkurrierenden Freien Universität als Propaganda, von der ersten bis zur letzten Seite dem Marxismus-Leninismus verpflichtet. Einen Bärendienst habe sich die Humboldt-Universität mit der Wahl ihres Präsidenten erwiesen, erklärte daraufhin Richard Schröder – und lenkte damit die beginnende Debatte rasch auf die Frage: Kann so einer für dieses Amt der Richtige sein?

Aber was heißt das, so einer? Olbertz war Kultusminister in Sachsen-Anhalt, parteilos, wie eh und je, zuvor hat er als Wissenschaftler an verschiedenen Hochschulen gewirkt. Als smart wird er von Kollegen beschrieben, als einer, der sich durchsetzen kann, aber auch sich durchlavieren. Zu seiner Habilitation sagt er heute, sie sei ihm peinlich, aber ideologisch nah sei er der SED nicht gewesen; er habe sogar dem Druck widerstanden, der Partei beizutreten, weswegen er seine Arbeit etwas willfähriger angelegt habe. Nur im Sozialismus könne sich Wissenschaft moralisch entfalten, schrieb Olbertz damals.

Die Habilitation ist keine Geheimschrift, Olbertz hat sie nicht verschwiegen. Aber sie blieb ohne Beachtung. So entwickelte Olbertz sich selbst nachträglich zu einer Art geistigem Dissidenten. Frühzeitig habe er in seiner bürgerlich geprägten Familie gelernt, die ganze Subtilität und Doppelbödigkeit der Sprache zu erkennen, hat er einmal gesagt; sein Lehramtsstudium erklärte er einst damit, dies habe ihm den größten Freiraum gegeben; und dass er sich sogar gesorgt habe, seine Habilitation würde „über den Parteiapparat“ zerschlagen, weil sie deutlich weiter gegangen sei als andere zu dieser Zeit, glaubte er vielleicht tatsächlich irgendwann. Die verrinnende Zeit schafft leicht Legenden im Verbund mit der verblassenden Erinnerung.

Die Erziehungswissenschaft bot in der DDR keinen Freiraum, im Gegenteil: sie war mit Ideologie überfrachtet. 1989 war in der DDR auch nicht alles wie immer, der Wandel lag in der Luft. Olbertz war kein Held. Er wollte es hinter sich bringen, wie er selbst einmal sagte, wollte Professor werden, so wie der Vater. Er hat dafür Erich und Margot Honecker hochleben lassen in seiner Arbeit; was er dabei dachte, weiß nur er. Aber der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk erkennt darin „politikberatende Ausführungen, die die kommunistische Herrschaft auf Dauer absichern sollen“. Offensichtlich ist Olbertz schon damals nicht von vielen Menschen gelesen worden, sonst wäre die ganze Geschichte womöglich anders ausgegangen. Das Wort vom Dünnbrettbohrer, das Richard Schröder führt, trifft es wahrscheinlich eher.

Es gibt keinen Stasi-Vorwurf gegen Olbertz, er war kein Scharfrichter, nicht mal ein richtiger Scharfmacher. Er hat sich angebiedert, und vielleicht würde er noch heute die moralische Überlegenheit des Sozialismus preisen, wenn nicht andere diesem Sozialismus den Garaus gemacht hätten. So setzte er seinen Lebensweg in einem anderen System fort und entwickelte fachliche Fähigkeiten bis zur Berufung in hohe Ämter, vielleicht zuweilen ein bisschen beschämt, vielleicht aber auch nicht, vielleicht manchmal etwas trotzig, vielleicht aber auch das nicht, wie Millionen andere auch. Wenn so einer heute nicht Hochschulpräsident werden kann, weil er in jungen Jahren dummes Zeug geschrieben oder gedacht hat, dann hat dieses Land zwanzig Jahre lang vergebens an seiner Einheit gearbeitet.

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