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Meinung: Ist der rechte Sumpf durch Verbote trockenzulegen?

„Schäuble verbietet Neonazi-Verein / Bundesinnenminister will Nachwuchs vor ,Heimattreuer Deutscher Jugend‘ schützen“ von Frank Jansenvom 1. AprilVerbote solcher verfassungsfeindlichen Organisationen sind überfällig, damit nicht schon Kinder und Jugendliche systematisch gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung aufgehetzt werden.

„Schäuble verbietet Neonazi-Verein / Bundesinnenminister will Nachwuchs vor ,Heimattreuer Deutscher Jugend‘ schützen“ von Frank Jansen

vom 1. April

Verbote solcher verfassungsfeindlichen Organisationen sind überfällig, damit nicht schon Kinder und Jugendliche systematisch gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung aufgehetzt werden.

Bereits 2006 gab es Forderungen aus der Politik, den Verein „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) zu verbieten. Nun muss nur noch sichergestellt werden, dass sich die Leute von der HDJ nicht einfach ein neues Mäntelchen umhängen und da weitermachen, wo man es ihnen eben zu tun verboten hat.

Die extreme Rechte will unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung an den Kragen, deshalb müssen ihr klare Grenzen gesetzt werden. Aus diesem Grund halte ich das Verbot der HDJ für richtig, nur sollte man da nicht aufhören. Die NPD hat zwar derzeit immense finanzielle Schwierigkeiten, aber nichtsdestotrotz sollte ein Verbot dieser Partei weiter geprüft werden. Ziel muss es sein, dem braunen Gesindel jede Möglichkeit der Agitation in unserer Gesellschaft zu nehmen. Das Gedankengut dieser Leute darf nie wieder in Deutschland Verbreitung finden!

Irgendwo habe ich einmal einen weisen Spruch gelesen: Sie sind wie ein Fluch aus der Vergangenheit, der bis heute die Gegenwart vergiftet, aber hoffentlich nicht unsere Zukunft bestimmt! Dem ist nichts hinzuzufügen.

Carsten Meyer, Hamburg

Sehr geehrter Herr Meyer,

Sie haben recht: Das Verbot des Vereins Heimattreue Deutsche Jugend war überfällig. Dieser Verein hat Hunderte von Kindern und Jugendlichen alljährlich eine mehr oder weniger totalitäre Sozialisation in Zeltlagern und auf Abenteuerfahrten verpasst und so seinen Einfluss für eine rassistische Gesinnung missbraucht. Dieser Verein war in vielem die Fortsetzung der bis 1994 sehr einflussreichen neonazistischen Wiking-Jugend. Ein beträchtlicher Teil der gegenwärtigen Führung der NPD ist dort im Sinne ihres Rassismus und Antisemitismus erfolgreich, wie man beobachten kann, indoktriniert worden – bis zu deren Verbot 1994.

Was ein Verbot der NPD anlangt: sie bleibt trotz ihrer gegenwärtigen Schwächung durch Finanzskandale und Flügelkämpfe an der Bundesspitze in einer Reihe von Bundesländern die Herrin über ein Sumpfgebiet, aus dem allein im Jahr 2008 schon nach offiziellen Zahlen weit über 1000 Gewaltstraftaten – sowie vier Morde verübt worden sind. Die Kooperation mit Freien Kameradschaften und gewalttätigen Szenen ist gerade in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen, aber auch in Thüringen außerordentlich.

Die NPD plädiert auch ganz offen für die Rückführung von Millionen deutscher Staatsbürger, die sie als nicht „weiß“ und nicht als „reinrassig“ deutsch interpretiert. Würde die Partei das umsetzen können, müsste sie mehr als 8 Millionen nicht in ihrem Sinn reinrassiger Deutscher vertreiben. Jeder weiß, dass dies nicht ohne Gewalt durchgesetzt werden würde. In diesem Sinne ist, so hat jüngst Steffen Kailitz gezeigt, die NPD radikaler als das Parteiprogramm der NSDAP aus dem Jahre 1920. Dies ist nur ein Beispiel, warum die NPD verbotsfähig wäre.

Hinzu kommt, dass zivilgesellschaftliche Initiativen und demokratische Parteien zwar seit geraumer Zeit stärker auf Ideologie und Gewaltbereitschaft der Neonazis aufmerksam gemacht haben; es ist ihnen aber nicht gelungen, den Sumpf trockenzulegen, der seit den frühen neunziger Jahren sich ins Land gefressen hat und seitdem immer neue Sumpfblüten treibt. Damals waren es nicht zuletzt westdeutsche neonazistische Kader, die eine soziale und kulturelle Umbruchsituation und eine oft unkluge ökonomische Einigungspolitik benutzt haben, um Frustrationen und Gewaltneigungen von Jugendlichen rassistisch aufzuladen. Heute sind es nach der Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen bis zu 30 000 der Fünfzehnjährigen, die in rechten Gruppen aktiv sind, und weit über 100 000, die im hohen Maße fremdenfeindliche Einstellungen vertreten.

Diesen Sumpf kann man allerdings nur trockenlegen, wenn erstens die fremdenfeindlichen Einstellungen von der demokratischen Öffentlichkeit und den demokratischen Parteien ganz anders als bisher angegangen werden. Und dazu bedarf es einer demokratischen Revolution in den Parteien: Sie müssten die angegriffenen Migranten und ihre Nachkommen sozial und politisch als selbstverständlichen Teil der Bürgergesellschaft in ihre Mitte nehmen und anerkennen. Davon sind wir weit entfernt. Zweitens: Ein Verbot der NPD, für das es gute Gründe gibt, kann – ironisch genug – bei der Trockenlegung des Sumpfes der Gesellschaft auf die Sprünge helfen und dort, wo Demokratie und Zivilgesellschaft zu schwach sind, diese durch das Verbot im Kampf gegen diesen Sumpf entscheidend stärken. Allerdings hat ein Verbot nur dann Sinn, wenn es konsequent durch Polizei, Justiz und öffentliche Aufmerksamkeit durchgesetzt wird. Dann kann es neonazistische Netzwerke und ihre immer effizientere Kaderausbildung, ohne die die rassistische Aufladung von Jugendgangs sehr viel schwieriger ist, in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen oder Thüringen – und bundesweit zerschlagen. Schon die bisherigen Verbote von Vereinen, aber auch der rechtsextremen Partei SRP in den frühen fünfziger Jahren hat für eine Reihe von Jahren das Netzwerk an Agitation und Hetze wirksam unterbrechen können.

Um eine in Westeuropa einzigartige Kombination einer fanatischen Bewegungspartei und einem sich langsam, aber stetig ausbreitenden rassistischen Gewaltmilieu nach 20 Jahren endlich wirksam einzudämmen, braucht es wohl beides: die demokratische Erneuerung von Gesellschaft und Parteien – und das Verbot.

Mit freundlichen Grüßen

— Prof. Dr. Hajo Funke, Otto-Suhr-Institut für

Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin

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